Periskop mit Fernsicht

Der Betonkörper bei Pollegio ist eines der ungewöhnlichsten Gebäude in der Leventina. In der Betriebszentrale Süd der SBB sorgen 150 Mitarbeitende mit modernster Kommunikation für den reibungslosen Bahnverkehr auf der Gotthardachse.

Mit seinen Ecken und Kanten ist das markante Gebäude schon von weitem zu sehen. Im auskragenden oberen Teil des «Periskops» befindet sich der Kommandoraum der Betriebszentrale Süd. Durch eine Sicherheitsschleuse gelangt man in den Tower, der mit seinen hohen Fenstern einen erhabenen Blick über die Bahnanlagen beim Südportal des Gotthard-Basistunnels eröffnet.

Schon bald werden hier Züge vorbeirollen, während auf einem dritten Gleis einzelne Güterzüge auf das Signal zur Weiterfahrt warten. Zu sehen sind die beiden Tunnelgleise, die bei den Portalen in das Innere des Berges verschwinden. Im Schatten der Granitfelsen sind drei Bassins zu erkennen, in denen das 26 Grad warme Tunnelwasser abgekühlt wird, bevor es in den Ticino fliesst. Direkt neben dem Gebäude befindet sich eines der vier Unterwerke, die den Basistunnel mit Bahnstrom versorgen.

Die spektakuläre Aussicht ist nur eine schöne Zugabe an diesem aussergewöhnlichen Arbeitsplatz. Ansonsten verlassen sich die rund 150 Mitarbeitenden lieber auf ihre nüchternen Bildschirme und die elektronischen Kommunikationssysteme. Diese gewähren ihnen jederzeit Einblick, was in den Bahnanlagen vor sich geht. «Pollegio», eröffnet im Mai 2014, ist eine von vier Betriebszentralen, in denen die SBB schweizweit ihre Verkehrssteuerung konzentriert. Viele Angestellte sind von der regionalen Zentrale Bellinzona und aus den Stellwerken des Tessins an den neuen Standort umgezogen. Der Zuständigkeitsbereich reicht von Chiasso auf der einen bis nach Arth-Goldau auf der anderen Seite der Alpen.

Gerüstet für den Mehrverkehr
«Der Gotthard mit dem Basistunnel und der Bergstrecke machen die Arbeit hier zu etwas Besonderem», sagt Ivo Imperatori, der als Regionenleiter der Betriebszentrale vorsteht. Im Periskop, so erklärt er, seien drei Hauptaufgaben zusammengefasst: die Steuerung des Verkehrs, die Information der Reisenden und die Überwachung der Technik inklusive der Stromversorgung. Auch die Technik im Basistunnel zähle dazu.

Ein intensiver und absolut zuverlässiger Austausch von Informationen und Daten ist die Grundlage, damit in jeder Situation die Pünktlichkeit und die Sicherheit im Bahnverkehr gewährleistet werden können. Die für das Zugbeeinflussungssystem ETCS Level 2 benötigten Bits und Bytes etwa werden mit dem digitalen Bahnfunksystem GSM-R an die Lokomotive und in den Führerstand übermittelt – und von da wieder zurück. Die in kurzen Abständen montierten Balisen erlauben es, Standort und Geschwindigkeit der Züge in Echtzeit zu erfassen. Laut Imperatori hat das ETCS-System grössere Auswirkungen auf die Arbeit der Lokführer als auf jene der Zugverkehrsleiter.

Rote und blaue Linien
In Pollegio sind die Zugverkehrsleiter in zwei unterschiedlichen Sektoren tätig. Der Gotthard zählt zum Sektor Nord: Wer hier arbeitet, muss Italienisch und Deutsch sprechen können. Jeder Arbeitsplatz ist mit mindestens acht Bildschirmen ausgestattet. Für den Laien ist die Fülle an Informationen verwirrend. Auf dem am stärksten befahrenen Abschnitt, zwischen Bellinzona und Giubiasco, verkehren täglich rund 400 Züge, darunter zahlreiche Güterzüge. Trotz hektischem Verkehr ist das Klima in Pollegio von konzentrierter Ruhe geprägt. «Im Normalfall läuft vieles automatisch ab, gemäss den im System eingegeben Fahrwegen», sagt Imperatori. Eingreifen müssten die Zugverkehrsleiter nur, wenn etwas vom Plan abweicht. Recht häufig gelte es etwa, eine Zugsüberholung zu verschieben. Dann entscheide der Disponent, wann und wo diese stattfindet, und leitet die nötigen Informationen weiter.

Die mit allen Eigenheiten des Netzes vertrauten Zugverkehrsleiter verfolgen das Geschehen anhand des Iltis-Systems. Dieses stellt die Güterzüge mit blauen und die Personenzüge mit roten Linien dar. Das System meldet auch Störungsfälle. Heute streikt die Weiche eines Gütergleises im Bahnhof Biasca. Der zuständige Zugverkehrsleiter Antonio Frondina telefoniert mit der Unterhaltsequipe vor Ort. Fehlendes Öl sei die Ursache, erfährt er. «Nachdem es geregnet hat und der Wind die Luft trocknet, kommt das schon mal vor.» Ab und zu erhalten die Zugverkehrsleiter einen Anruf aus einem Führerstand: wenn etwa einem Lokführer auf der Strecke etwas Relevantes aufgefallen ist. Auch dazu dient der Zugfunk.

Tiziano Sassi arbeitet nebenan in der Abteilung Technik. Von seinem Arbeitsplatz aus kann er den 15 000-Volt-Bahnstrom in der Region Süd per Mausklick abschnittsweise ein- und ausschalten. Die Angaben, wo und wann es an diesem Tag etwas zu tun gibt, stehen auf einer Tabelle. Für das Einschalten des Stroms nach einem Unterbruch erhält er aus Sicherheitsgründen jeweils per SMS ein Passwort zugestellt.

«Aquarium» für Notfälle
Die Sicherheitskultur wird in Pollegio grossgeschrieben. Die Zentrale ist das Nervenzentrum des Bahnverkehrs. Fällt es aus, stehen auch die Räder still. «Bei einer Strompanne sichern zwei Rückfallebenen den Betrieb», sagt Ivo Imperatori. Die Anlagen können dann sowohl mit umgewandelten Bahnstrom wie mit

Cargo Magazin 1/16

 Das neue Cargo Magazin ist ab dem 14. März 2016 erhältlich. Im aktuellen Heft dreht sich alles um den neuen Gotthardtunnel.

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Dieselgeneratoren versorgt werden. Der Datenverkehr ist ebenfalls «redundant», also zweifach vorhanden. Als Rückfallebene dient ausserdem das «Aquarium», ein mit Glas abgetrennter, unbesetzter Teil des Kommandoraums . «Falls eine andere Betriebszentrale für längere Zeit ausfällt, können ihre Mitarbeitenden von hier aus operieren, um wenigstens einen Teil des Verkehrs sicherzustellen.»

Auch für Notfälle im Basistunnel ist die Betriebszentrale gerüstet. Drei als Feuerwehroffiziere ausgebildete Mitarbeiter der «Intervention» sorgen schon heute für eine Präsenz rund um die Uhr. Einer von ihnen ist Nicola Bianchi, der erst seit Kurzem bei der SBB arbeitet und sich mit der Funktionsweise des Schienenverkehrs vertraut macht. «Im Ernstfall muss alles sehr schnell gehen», sagt der Feuerwehrmann, «gemäss Vorgaben müssen wir innert 15 Minuten im Tunnel sein.» Ein Szenario, das hoffentlich nie eintritt.

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