«Eine dicke Scheibe von der Schweiz abschneiden»

Die «Allianz pro Schiene» ist Deutschlands unkonventionellstes Verkehrsbündnis. 18 Umweltverbände, Gewerkschaften, Berufsverbände und Konsumentenorganisationen, die mehr als 2 Millionen Einzelmitglieder vertreten, arbeiten darin zusammen. Geschäftsführer Dirk Flege erläutert im Interview seine Sicht zum Schienengüterverkehr – auch in der Schweiz.

Dirk Flege, Geschäftsführer Kann die Schweiz für andere Güterbahnen in Europa ein Vorbild sein?
Dirk Flege: Ganz sicher. Es gibt vier zentrale Bereiche, in denen sich die meisten europäischen Länder von der Schweiz eine dicke Scheibe abschneiden können.  Zunächst hat sich das Land klare Verlagerungsziele von der Strasse auf die Schiene gesetzt. Wer keine Ziele hat, der kann auch keine erreichen. Dann sorgen die Eidgenossen dafür, dass die Schieneninfrastruktur konsequent ausgebaut wird. Dies geschieht nicht nach dem Giesskannenprinzip oder nach dem Geburtsort des Verkehrsministers, sondern findet ganz gezielt statt, um zusätzliche Kapazitäten im Netz zu schaffen.

Und die weiteren beiden Punkte?
Dirk Flege: Die Verkehrspolitiker in der Schweiz haben – im Unterschied zu den Verantwortlichen in anderen Ländern – immer eine verkehrsträgerübergreifende Brille auf: Sie sorgen für fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern und erheben zum Beispiel für Lkw schon ab 3,5 Tonnen und auf allen Strassen eine Maut. Das ist folgerichtig, denn jeder Güterzug zahlt selbstverständlich seine Trassengebühren. Und zu guter Letzt: Jeder Schweizer entscheidet mit, wie der Verkehr in seinem Land aussehen soll, auch der Güterverkehr.

Europaweit wird über die Zukunft des Einzelwagenladungsverkehrs diskutiert – hat er eine?
Dirk Flege: Unbedingt. Das Interesse der Kunden ist eindeutig da. Allerdings leiden heute die Bahnen in ganz Europa darunter, dass die Erträge zu dürftig ausfallen. Hier sind natürlich die Bahnen selbst, aber auch die Politik gefordert. Die «Allianz pro Schiene» kämpft deshalb seit vielen Jahren für faire Wettbewerbsbedingungen. Warum fahren Lkw bis zu 12 Tonnen in Deutschland, ohne dass sie Maut zahlen müssen? Der Strassengüterverkehr hat in vielen Ländern Europas eine starke Lobby, während die Schiene mit Bürokratie zu kämpfen hat. Eine Sache, die in Deutschland gut funktioniert, gibt es allerdings auch: die Gleisanschlussförderung für Güterverkehrskunden, die gerne auf die Bahn umsteigen möchten. Das ist vorbildlich und stärkt den Einzelwagenladungsverkehr.

Wie können die Bahnunternehmen fit für die Zukunft werden?
Dirk Flege: Gerade im Einzelwagenladungsverkehr müssten die Bahnen viel stärker als bisher auf ihre Kunden zugehen und deren Bedürfnisse erkennen. Was heute nicht mehr akzeptiert wird, ist zum Beispiel eine gebrochene Transportkette. Der Kunde erwartet, dass ein Anbieter auch die erste und die letzte Meile bedienen kann. Wer keinen Gleisanschluss hat, sollte einen Transport aus einer Hand etwa über Railports angeboten bekommen. Auch grenzüberschreitende Transporte sollten selbstverständlich buchbar und nachverfolgbar sein. Neben der Kundenorientierung müssen sich die Güterbahnen auch mit ihren eigenen Abläufen befassen. Sie sollten schneller und effizienter werden und auch technische Innovationen zügiger umsetzen.

Wo sehen Sie weitere Hindernisse?
Dirk Flege: Die Politik muss mehr Rückenwind geben. Heute zeichnet sich zum Beispiel schon ab, dass der viergleisige Ausbau der Strecke Karlsruhe – Basel auf deutscher Seite nicht vollendet sein wird, wenn der Gotthard-Tunnel 2016 in Betrieb geht. Dieser schleppende Umgang mit Netzengpässen ist für die Entwicklung des Schienengüterverkehrs negativ.

Die jüngste Ausgabe vom Cargo Magazin beleuchtet die Frage «Schienengüterverkehr – Vorbild Schweiz?».

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