«Die Digitalisierung führt zur Neuordnung des Mobilitätsmarktes»

Mit der Zukunft der Mobilität beschäftigt sich Stephan Rammler, Professor am Institut für Transportdesign der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. In seinem neuen Buch «Schubumkehr» plädiert er für eine drastische Richtungsänderung.

Stephan Rammler
Die Digitalisierung der Mobilität bietet laut Stephan Rammler Vor- und Nachteile. (Foto: Nicolas Uphaus)

In Ihrem Buch nehmen Sie die Leser auf eine Reise in die Welt der Mobilität in 30 Jahren mit. Wie realistisch sind diese Zukunftsprognosen?
Ich bin kein Prophet, der nur eine einzige Zukunft vorhersagt. Sondern ich entwickele in meiner Forschungsarbeit eine Vielzahl von Szenarien, wie sich Menschen und Güter morgen bewegen werden. Der demographische Wandel, die Urbanisierung und die Digitalisierung vieler Lebens- und Arbeitsfelder sowie ein gesellschaftlicher Wertewandel sind die Rahmenbedingungen für Trends und Treiber von Mobilität, diese aber lassen sich nicht zu einer linearen Entwicklung bündeln. Allein die Digitalisierung der Mobilität bietet Segens- wie Fluchperspektiven.

Das heisst konkret?
Ich unterscheide immer fünf Innovationskorridore der Durchdringung des Verkehrsmarktes mit digitalen Dienstleistungen und Technologien: Die Automatisierung, die intra- und intermodale Vernetzung, die Navigation, Information & Entertainment und schliesslich das ganze grosse Thema der Virtualisierung, des Telependelns oder auch der Substitution realer Verkehre durch Datentransfer.

Und warum «Schubumkehr»?
Die Schubumkehr ist im Luftverkehr ein Verfahren zum rechtzeitigen Abbremsen eines Flugzeuges nach der geglückten Landung, die am Boden zu einer deutlichen Verzögerung der Geschwindigkeit führt. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und knapper Ressourcen brauchen wir auch in der Verkehrspolitik eine solche drastische Richtungsänderung.

Muss nicht die Mobilität der Zukunft anders definiert werden als heute? Statt Beförderung von Personen oder Gütern von A nach B geht es doch mehr um eine Dienstleistung, die diese Transporte synchronisiert und benutzergerecht zusammenführt?
Unbedingt. Die möglichst friktions- und übergangslose Mobilität aus einer Hand, die sogenannte «Seamless Mobility» oder Inter- bzw. Multimodalität, ist eine Vision gesamtsystemischer Verkehrsoptimierung, die erst jetzt richtig möglich wird – mit den heutigen Möglichkeiten digitaler Vernetzungsstrategien und Geräte. In meinen Augen liegt dort enormes Optimierungspotenzial im Personen- wie im Güterverkehr.

Buch_RammlerDigitalkonzerne wie Google, Amazon oder Apple haben bereits angekündigt, dass sie ins Mobilitätsgeschäft einsteigen wollen. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Die Auswirkungen der digitalen Revolution sind so fundamental, dass sie auf jeden Fall zu einer Neuordnung des Mobilitätsmarktes führen werden. Die Bewegung ist dabei im Augenblick so facettenreich und so dynamisch, dass ich keine sichere Aussage treffen kann und will. Auf jeden Fall haben diese neuen Player potenziell Zugriff auf die Daten aller Menschen, die sich im urbanen Raum mithilfe digitaler Schnittstellen wie etwa Smartphone-Apps bewegen. Im idealtypischen Fall können so alle Verkehrsteilnehmer und alle Verkehrswege erfasst und ihre Daten wirtschaftlich genutzt werden. Hier ist auch die Schnittstelle zum Gütertransport am grössten, der ein weiterer Testballon für die IT-Konzerne werden könnte.

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