Eem 923 – Die Entstehung der neuen Hybridlok von SBB Cargo / Teil 1

SBB Cargo benötigt für den Ersatz der z.T. überalterten Rangierlokflotte neues Rollmaterial für die Einsatzgebiete Strecken- und leichter bzw. mittlerer Rangierdienst. Michel Henzi, Gesamtprojektleiter für die Beschaffung der neuen Hybrid-Rangierlok Eem 923, berichtet darüber, wie alles begann und wie der Stand heute ist.

Michel Henzi, Gesamtprojektleiter

Im Rahmen eines Einladungsverfahrens haben uns vier Hersteller ihre Produkte offeriert. Als Sieger dieses Verfahrens ging die Eem 923 (eine Weiterentwicklung der Ee 922 von SBB Personenverkehr) von Stadler Winterthur hervor. Dies primär aufgrund des gegenüber einer reinen Diesellok überlegenen Hybridantriebs. Stadler war zu diesem Zeitpunkt der einzige Hersteller mit einem solchen Konzept, Konkurrenten wie Vossloh ziehen nun im nächsten Jahr nach.

Unter Fahrdraht fährt die Eem 923 elektrisch, der ergänzende kleine Dieselmotor wird nur auf nicht elektrifizierten Anschlussgleisen gebraucht. Damit können wir – im Vergleich mit den bisher eingesetzten Maschinen – einerseits jährlich rund 4300 Tonnen CO2 einsparen, andererseits sind auch Unterhalts- und Betriebskosten einer solchen Hybridmaschine markant günstiger.

Bild 1: Technisches Gesamtkonzept

Der SBB-Verwaltungsrat genehmigte im Juni 2010 knapp 88 Millionen CHF für unser Projekt, die Vertragsunterzeichnung erfolgte dann Ende Juli. Unmittelbar danach startete mit dem Kickoff Anfang August die Realisierungsphase der Beschaffung. Um die Erkenntnisse der Kollegen von Personenverkehr mit der Ee 922 in unser Projekt einfliessen zu lassen, führten wir als erstes einen gemeinsamen Erfahrungsworkshop durch. Und am 18. August  letzten Jahres fand bei Stadler Winterthur im altehrwürdigen Sulzerareal die erste Bausitzung statt.

Seitdem treffen wir uns einmal im Monat in Winterthur. In den ersten Sitzungen standen primär technische und konstruktive Fragen im Vordergrund. Stadler präsentiert uns dazu monatlich den aktuellen Stand der Konstruktion des Prototyps. Das Fahrzeug wird dabei, ausgehend vom technischen Gesamtkonzept (Bild 1), vom „Groben“ ins „Feine“ konstruiert und gezeichnet. Wenn Sie die Bilder genauer betrachten wollen, einfach anklicken – dann werden sie größer.

Bild 2: 1. Designvorschlag

Bezüglich der Gestaltung waren vom ersten Designvorschlag während der Ausschreibung (Bild 2) bis zu der auch von der SBB-Branding-Abteilung genehmigten Version (Bild 3) insgesamt 12 Schritte notwendig. Diese Optimierung hat sich jedoch gelohnt, nun haben wir ein Fahrzeug, das sich visuell sehr harmonisch in die künftige Rangierflotte von SBB Cargo einreihen wird.

 

Bild 3: finales Design
Bild 4: 1. Entwurf Führerstand

Ein für alle Beteiligten sehr wichtiger Punkt ist die Ergonomie unseres neuen Fahrzeuges. Deshalb entsteht es auch nicht im Elfenbeinturm, sondern unter aktiver Mithilfe der künftigen Benutzer. Cargo-Lokführer und ein Vertreter der Personalkommission sind seit Projektbeginn in alle sie betreffenden Entscheide eingebunden.

Unter anderem wurde durch ihre Anregungen der 1. Entwurf des Führerstands (Bild 4) stark überarbeitet und verbessert. Bild 5 zeigt die finale Version, die nun am Ende dieses Prozesses steht.

Bild 5: Überarbeiteter Führerstand

Vom CAD-Zeichenbrett endlich in die Realität – am 9. April 2011 konnten wir nach Erreichen des ersten grossen Projekt-Meilensteines den soeben fertig geschweissten Rahmen und den Kabinen-Rohbau besichtigen. Noch ist zwar quasi nicht mehr als auf einem „Ultraschallbild“ zu sehen, wichtige Details wie der ergonomische Führerstand mit 360 Grad-Rundumsicht sind aber bereits deutlich ersichtlich.

Rahmen Rohbau
Kabine aussen
Kabine innen

Über mich:
Mein Name ist Michel Henzi, ich arbeite seit etwas mehr als sechs Jahren bei SBB Cargo und bin seit Sommer 2010 Gesamtprojektleiter der Beschaffung der neuen Hybrid-Rangierlok von SBB Cargo, der Eem 923. Die Auslieferung von Fahrzeug Nr. 1 ist für Ende Februar 2012 geplant, bis dahin werde ich Sie hier in losen Abständen über das aktuelle Projektgeschehen informieren und natürlich auch das eine oder andere interessante Bild posten.

10 Kommentare zu “Eem 923 – Die Entstehung der neuen Hybridlok von SBB Cargo / Teil 1

  1. Danke für den interessanten Bericht. Ich habe aber Zweifel, ob es sich um eine Hybridlok handelt, denn dann müsste sie nach der Uno-Definition eines Hybridantriebs in Wikipedia auch einen zweiten Speicher für elektrische Energie haben, etwa für die Rekuperation (Bremsenergie-Rückgewinnung). Ist so ein Speicher vorhanden? Andernfalls wäre es „nur“ eine Zweikraftlok.

    1. Vielen Dank für den Hinweis. Zum Thema „Was ist ein Hybrid?“ könnte man ein eigenes Blog eröffnen und doch zu keinem eindeutigen Resultat kommen. Denn es gibt diverse und sich widersprechende Definitionen. Aber wenn man sich an die erwähnte Definition aus der Wikipedia hält, die aber wohl eher von der Autolobby geprägt wurde, ist unser neues Modell tatsächlich eine Zweikraftlok – wie auch die neuen Modelle von Vossloh. Über eine verschleisslose elektrische Bremse mit Rückführung der Bremsenergie ins Fahrleitungsnetz (Rekuperation) verfügt die Eem 923 allerdings. Siehe auch das Datenblatt von Stadler Winterthur http://www.stadlerrail.com/media/uploads/Eem_923_SBBCARGO_d.pdf

  2. Die Eem 923 hat für mich als zukünftigesarbeitsgerät für den Rangierdienst einen nachteil der die vielbesagte SICHERHEIT herabsetzt.
    Auf der Elektrikseite hat es einen übergang, aber auf der Dieselseite nur „billige“ Trittbretter.

  3. Aufgrund des zusätzlichen Dieselaggregats verbrauchen die Aufbauten der Eem 923 im Vergleich zur Ee 922 auf dem Rahmen mehr Raum. Um trotzdem den gleichen Rahmen verwenden zu können, wurde bei unserem Fahrzeug auf den zweiten Übergang verzichtet. Auf der Dieselseite wird es jedoch nicht nur „billige“ Trittbretter, sondern auch eine „Rangierkanzel“ mit Schutzbügel und Haltegriffen geben (wie man das von gewissen Güterwagen her kennt). Diese Lösung wurde gemeinsam mit unserer Produktion und der Personalkommission erarbeitet und verabschiedet. Stadler ist z.Zt. noch am Zeichnen der Endversion, deshalb ist sie noch auf keinen Bildern ersichtlich. Beste Gruesse Michel Henzi.

  4. Klasse Beitrag. Sehr spannend. Ich freue mich auf Teil 2. Wann kommt dieser raus?

    Ich denke, dass ich bei meinem Bio Blog mal schauen kann,dass ich auch über so etwas schreibe.

    Weiterhin viel Erfolg!

    Lieben Gruß

  5. Ich hätte an alle die der Meinung sind es sei die erste Hybridlok zwei fragen: was macht sie zur Hybridlok und wie kommen sie auf die ide das es die erste sein soll?

Alle Kommentare anzeigen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert