Feldschlösschen

Brauschloss mit Gleisanschluss

Einst war es die Dampflok, heute sind es moderne Güterzüge: Feldschlösschen transportiert Bier und Mineralwasser seit 140 Jahren vor allem via Schiene zur Kundschaft. Im Gleichschritt mit SBB Cargo erneuert sich das Unternehmen permanent, um den wachsenden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden.

feld-blog4Ein früher Morgen wie im Drehbuch. Strahlend blauer Himmel, die aufgehende Sonne taucht das gigantische Backsteinschloss in ein filmreifes Licht. Für den perfekten Mittelalterstreifen müssten am fiktiven Set jetzt ein paar Ritter in Vollrüstung ums Eck galoppieren. Was tatsächlich auftaucht, hat indes viel mehr PS. Es ist eine Güterlokomotive, die sich vom Bahnhof Rheinfelden her den Weg auf den Schlosshügel bahnt. In cooler Pose auf der Brüstung steht ein Ritter der Neuzeit. Es ist Simon Herzog, Rangierchef im Dienste der Feldschlösschen Getränke AG. Rund fünfmal täglich werden bis zu zehn mit Bier und Mineralwasser gefüllte Bahnwagen via Anschlussgleis nach Rheinfelden gebracht und von dort in alle Himmelsrichtungen verteilt. Simon Herzog ist es, der diesen Warenfluss ko­ordinieren und gewährleisten muss. Und dies schon seit 36 Jahren.

Rund um das «märchenhafte» Brauimperium im Aargauer Fricktal, wo knapp die Hälfte von schweizweit rund 1300 Mitarbeitenden tätig sind, hat Feldschlösschen vier Kilometer eigene Gleise verlegt. Das zeigt die tiefe Verbundenheit des Unternehmens mit der Bahn seit seiner Gründung im Jahr 1876. Schon die erste Bierlieferung von Feldschlösschen erfolgte auf der Schiene ab Rheinfelden. Dreizehn Jahre später wurde der direkte Gleisanschluss zum Brauschloss Realität, sodass Simon Herzogs heutiger Job in den frühesten Anfängen von einem Pferdefuhrhalter übernommen wurde. Es folgte eine lange Epoche der Dampflok, mit der sogar noch Simon Herzog zehn Jahre kutschierte. 1990 übernahm die Diesellok. Aus Liebe zur Tradition und zu Marketingzwecken hält Feldschlösschen vor Ort bis heute Pferde und setzt sie für Bierlieferungen in die Rheinfelder Altstadt ein.

Von Rheinfelden in die ganze Welt
«Zeit für Nostalgie bleibt uns im hektischen Alltag kaum», sagt Thomas Stalder, Geschäftsleitungsmitglied und als Leiter Customer Supply Chain für die gesamte Transportlogistik von Feldschlösschen verantwortlich. Die Welt habe sich gedreht und mit ihr die logistischen Herausforderungen im Handelsgeschäft. Feldschlösschen ist heute ein Tochterunternehmen der Carlsberg Group, braut neben Rheinfelden auch in Sion insgesamt acht eigene Biermarken selbst und füllt am Bündner Standort Rhäzüns sein eigenes Mineralwasser ab. Von Bern bis Taverne und Landquart bis Satigny GE betreibt das Unternehmen an insgesamt 21 neuralgischen Standorten Lager- und Verteilzentren. Neben den Eigenprodukten vertreibt Feldschlösschen etliche weitere Bier- und Mineralwassersorten auf Provisionsbasis. Total liefert die grösste Schweizer Getränkehändlerin mehr als 1000 unterschied­liche Produktartikel in die Lager, Keller und Kühlschränke von gegen 30 000 Kunden, vom Detailhandelsriesen bis zum Bergrestaurant.

Ob klein oder gross, diese Klientel wird immer anspruchsvoller. Ganz kurzfristige Aufträge gehören heute zur Tagesordnung. «Die 48-Stunden-Lieferfrist ist längst kalter Kaffee», sagt Thomas Stalder. Maximal 24 Stunden dürfen es sein, in vielen Fällen wird ein «morgen» schon gar nicht mehr akzeptiert. «Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir den Warenfluss also permanent beschleunigen, ohne an Qualität zu verlieren.» Geschwindigkeit ist im Bier- und Getränkehandel unabhängig vom Nachfragemarkt ein entscheidendes Kriterium. Es handelt sich im Gegensatz zu Nähmaschinen oder Holz­tischen um verderbliche Ware. Die ge­samte Getränkeproduktion in Rheinfelden wird durchschnittlich innert zwei bis drei Wochen umgeschlagen und verfrachtet.

Richtig herausfordernd sind zum Beispiel riesige Sportanlässe. Heuer bestritt Feldschlösschen zum vierten Mal in Folge das Eidgenössische Schwingfest. Total 200 000 Zuschauer mussten in Estavayer FR mitten im Grünen bei Gluthitze ausreichend mit gekühltem Frischbier und anderen Getränken versorgt werden. Ein logistischer Hosenlupf. An der Fussball-Euro 2008 belieferte Feldschlösschen alle acht Stadien in der Schweiz und Österreich sowie mehr als 100 Public-Viewing-Zonen. Insgesamt wurden für den Event rund 50 000 Hektoliter Bier verkauft, was den Jahresabsatz gleich um 20 Prozent erhöhte.

Solche Projekte oder die tägliche Be­lieferung von über 12 000 Kunden aus der Hotellerie, Restauration oder Cateringszene sind zumindest auf der «letzten Meile» nur über die Strasse möglich. Trotzdem setzt Feldschlösschen bis heute 60 Prozent des gesamten Liefervolumens auf der Schiene um. Vor allem in die eigenen Warendepots und zu Grosskunden wie Coop gelangt das Getränkegut fast ausschliesslich per Bahn. Der Einzelwagenverkehr von SBB Cargo ermöglicht Feldschlösschen zudem, auch für die Feinverteilung unterschiedlichster Liefermengen an Endkunden maximal viele Kilo­meter auf der Schiene zurückzulegen. «Undenkbar wäre so etwas zum Beispiel im Nachbarland Frankreich, wo im Güterverkehr nur ganze Züge angeboten werden», sagt Thomas Stalder.

Neben der Flexibilität und der damit verbundenen Wirtschaftlichkeit der Bahn dank Einzelwagen steht für Feldschlösschen die Partnerschaft mit SBB Cargo auch bezüglich Transportqualität auf einem soliden Fundament. Innovationskraft schweisst offenbar zusammen. Als erste Schweizer Unternehmen überhaupt haben nämlich die beiden Parteien im letzten Jahr die Einhaltung der IFS-Normen (International Food Standards) vertraglich miteinander vereinbart. Weil Bier und Mineralwasser Lebensmittel sind, müssen sie laut IFS auf allen Transporten kontrolliert und für Dritte absolut unzugänglich sein, was von allen Partnern einiges an Aufwand erfordert.

«Noch schneller und flexibler»
Trotz solcher Errungenschaften darf die Entwicklung nicht stillstehen. Feldschlösschen setze zwar aus Tradition und aus guten Gründen auf die Schiene, habe diese Treue aber nicht in Stein gemeisselt, mahnt der Logistikchef. Kurzum: «Um ihren Status quo als unser Prioritätspartner mittel- und langfristig zu behaupten, muss die Bahn mit den sich wandelnden Marktbedürfnissen mithalten, künftig also noch schneller und flexibler werden.» Erledige sie ihre Hausaufgaben, liege sogar eine weitere Volumenverlagerung auf die Schiene über die aktuellen 60 Prozent hinaus absolut drin.

Die Botschaft kommt beim Adressaten SBB Cargo an. Dort weiss man, dass im zunehmend zeitkritischen Umfeld jeder Gleichschritt ein empfindlicher Rückschritt ist. «Kam es früher zu einer verspäteten Zustellung in ein Depot von Feldschlösschen, konnte dies mit Puffern in den Beständen vor Ort ausgeglichen werden», sagt Wolfram Köster, Leiter der Business-Unit Handel, Bau, Entsorgung bei SBB Cargo. Solche Zustände gehören ins Reich der Nostalgie. Das Horten von Notfallreserven wäre in Zeiten von individuell abgestimmten Bestell- und Liefermengen bis zum einzelnen Bierharass reine Verschwendung.

Weniger Lkws dank WLV 2017
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind in Zeiten von immer mehr Kostendruck und immer kleineren Gewinnmargen nicht nur Gebote, sondern Überlebensstrategie. «Wenn wir nicht jederzeit gewährleisten können, dass Feldschlösschen einen Kunden am Folgetag der Bestellung mit der exakt geforderten Menge an Frischbier beliefert, haben wir versagt», sagt Köster, «das sind wir als Transportpartner uns selbst und allen Kunden schuldig, ob aus der Ge­tränke-, Möbel- oder Zementbranche.» Denn, so Köster, «ein enttäuschter Partner wechselt heute ohne Wimpernzucken auf die Strasse».

Mit dem bevorstehenden Fahrplanwechsel kann SBB Cargo ganz neue Argumente für die Bahn ins Feld führen. Neben der offiziellen Aufnahme des Gotthard-Basistunnels (GBT) ins Streckennetz fällt am 11. Dezember auch der Startschuss für das Projekt Wagenladungsverkehr (WLV) 2017. «Es beginnt ein neues Zeitalter für den Güterverkehr», verleiht Wolfram Köster dem Datum sogar einen historischen Anstrich. Zu Recht. Der GBT verkürzt nicht nur die Fahrzeit auf der Nord-Süd-Achse um 30 Minuten, sondern bietet im Wagenladungsverkehr Kapazitäten für deutlich grössere Güterzüge mit 750 Metern Länge und 2000 Tonnen Gewicht.

Für Feldschlösschen bedeutet die neue Gotthardflachbahn zwar unmittelbar keinen Mehrwert, weil das Depot in Taverne schon heute von der Bahn bedient wird. Potenzial sieht Thomas Stalder im Falle, dass der Tunnel SBB Cargo einen fle­xibleren und erweiterten Fahrplan ins Tessin ermögliche. Genau das ist geplant. In Kombination mit dem anderen Grossprojekt WLV 2017 sollen in absehbarer Zeit verkehrsstarke Bedienpunkte in der Südschweiz bis zu drei statt heute nur zwei Zustellungen pro Tag erhalten. Das erlaubt eine Erhöhung und flexiblere Verteilung der Transportkapazitäten. «Sicher interessant, zumal uns diese Option auch mehr Möglichkeiten geben würde, im italienischen Markt noch stärker Fuss zu fassen», so Stalder.

Sehr direkt profitiert Feldschlösschen vom WLV 2017 für die Bier- und Mineralwasserlieferungen in die Westschweiz. Der Kapazitätsausbau erlaubt es SBB Cargo nämlich, die Strecke Rheinfelden nach Satigny GE via «Nachtsprung» so zu bedienen, dass die Ware dort morgens um 5.00 Uhr statt wie bisher 7.30 Uhr eintrifft. Optimal für Feldschlösschen, da jetzt wieder die gesamte Produktion für den Raum Genf via Bahn befördert werden kann. «Mit dem alten Regime waren wir gezwungen, einen Teil der Ware am Vorabend per Lkw nach Satigny zu bringen, damit diese dort am Folgemorgen früh genug zur Feinverteilung bereitstand», erklärt Thomas Stalder.

Cargo Magazin 3/16

 Das neue Cargo Magazin ist ab dem 5. Dezember 2016 erhältlich. Im aktuellen Heft dreht sich alles um die Logistik im Wandel.

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Dank dem neuen Fahrplan durch Wagenladungsverkehr 2017 fährt der Zug von Rheinfelden nach Genf später ab: Nachmittags um 17.25 Uhr statt bisher 16.00 Uhr verlässt ab Mitte Dezember jeweils der letzte Güterzug den Bahnhof am Fuss des Schlosshügels. Optimal für Feldschlösschen. «So haben wir länger Zeit für die Bereitstellung der Ware inklusive Kommissio­nierung und Verlad», sagt Thomas Stalder.

Für Rangierchef Simon Herzog bedeutet der Fahrplanwechsel indes längere Arbeitstage. Ein Problem hat er damit nicht. Schliesslich habe er weit über die Hälfte seines Lebens bei Feldschlösschen verbracht und sei für die grosse Loyalität seines Arbeitgebers dankbar. In seinem kleinen Bürohäuschen direkt am Anschlussgleis zeugen säuberlich eingerahmte Urkunden, Zeitungsausschnitte und Fotos von den epochalen Entwicklungen, die Simon Herzog bei Feldschlösschen erlebt und teils mitgeprägt hat. «Ich will die fortschreitende Modernisierung im Güterverkehr ebenfalls an vorderster Front miterleben.» Er schaut auf die Uhr, schon bald ist Mittag. Zeit für die nächste Bierfahrt vom Schloss runter zum Bahnhof. Es ist heute schon die dritte.

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