«Effizienz heisst Kooperation»

Die Verkehrszunahme in den Ballungsgebieten hat laut Stefan Dingerkus vor
allem mit der stark steigenden Anzahl an Kleinsendungen zu tun. Angesichts dieser Entwicklung empfiehlt er eine bessere Zusammenarbeit aller Akteure.

Die Warentransporte nehmen laut allen Prognosen weiter zu. Welche Bereiche tragen besonders stark dazu bei?
Es gibt drei wesentliche Wachstumstreiber. Der wichtigste ist das E-Business. Das direkte Endkundengeschäft, Business to Consumer genannt, führt zu stark steigenden «KEP-Leistungen» (Kurier-, Express- und Paketdienste) mit kleinen Sendungen, die von Kurierdiensten an­geliefert werden. Die damit verbundene Verkehrszunahme spürt man vor allem in Städten und Agglomerationen. Die zweite Ursache liegt in der verbesserten Logistik vieler Unternehmen begründet. Um Lagerkosten zu sparen, beliefern sie ihre dezentralen Depots und Filialen häufiger. Auch die steigende Vielfalt an Produkten vergrössert den Transportaufwand.

Und drittens?
Hier geht es um eine grundlegende Veränderung in der Produktion. Massenartikel werden in Zukunft vermehrt nach Kundenwunsch gefertigt. Das erhöht die Variantenvielfalt noch einmal stark, könnte allerdings den Vorteil haben, dass die Obsoleszenz, der rasche Verfall der Güter, reduziert wird. Bei Kleidern und Schuhen zum Beispiel werden bis zur Hälfte der hergestellten Waren gar nie verkauft und getragen. Wenn es gelingt, diese Verschwendung zu reduzieren, würde auch das Verkehrswachstum gebremst. Das Gleiche gilt für die hohen Rücksendequoten im Onlinehandel, die aus Sicht der Nachhaltigkeit absurd sind.

Welche Rolle kann die Bahn spielen?
In der Schweiz haben wir trotz kurzer Distanzen ein relativ hohes Frachtaufkommen auf der Schiene. Das hat mit dem Nachtfahrverbot auf der Strasse und mit der Effizienz der Bahn zu tun. Inter­national und im Binnenverkehr funk­tionieren die Ganzzugskonzepte ganz gut, zum Beispiel jene von den Seehäfen nach Basel. Die Neat mit dem 4-Meter-Korridor wird sich im Nord-Süd-Verkehr zweifellos günstig und positiv auswirken. Sie entlastet aber die Ballungsräume nicht. Die Frage ist, wie man diese Güter in den Griff bekommt. Die Chance für die SBB im KEP-Bereich liegt meines Erachtens in der Kombination von Güterverkehr und Personenverkehr. Wenn die Sendungen in speziellen Frachtabteilen der Personen­züge in die Städte verschickt werden, lässt sich die vorhandene Infrastruktur nutzen, und es braucht keine zusätzlichen Fahrplan-Slots.

Der Umlad in den Bahnhöfen wäre wohl nicht ganz einfach.
Ich bin mir bewusst, dass dadurch die Haltezeiten eventuell grösser würden. Aber wenn es das Ziel ist, Güter auf die Schiene zu bringen und die Ballungsgebiete vom Verkehr zu entlasten, müsste man solche Lösungen prüfen. Das ist umso wichtiger, als der Trend zu noch kürzeren Liefer­zeiten geht. Man müsste studieren, wo geeignete Knotenpunkte eingerichtet werden können. Eventuell könnte der Umlad für die Feinverteilung in einen Vorortsbahnhof verlegt werden, um nicht den Hauptbahnhof in Anspruch zu nehmen.

Sie betonen die Bedeutung von Kooperationen.
Die Zukunft liegt in verstärkten Koope­rationen von Playern der Logistik- und Transportbranche. Es wäre auch eine Aufgabe für die Politik, diesen Prozess in Gang zu bringen, mit dem Ziel, Lösungen zu finden, die die Infrastruktur besser auslasten und die Umwelt weniger belasten. Mehr Effizienz heisst meiner Meinung nach nicht mehr Strassen, sondern mehr Kooperation.

Wie beurteilen Sie das Projekt Gateway Basel Nord?
Der kombinierte Verkehr mit den Ganzzügen aus den Industriegebieten und von den Häfen ist sinnvoll. Auch das Zusammenspannen aller drei Verkehrsträger, der Schiene, der Strasse und der Schifffahrt, ist wichtig. Die Frage ist, ob die Bahn die Gelegenheit nutzen kann, um ihre Hubs in der Schweiz schneller und besser zu erreichen, sodass nur noch die Feinverteilung per Lastwagen passiert. Das Projekt sollte meiner Meinung nach jedenfalls dazu dienen, die Stellung der Bahn im Import- und Exportverkehr zu stärken. Sonst haben wir punkto Entlastung der In­frastruktur nichts gewonnen. Ich sehe da durchaus Parallelen zum Projekt der Neat.

Stefan Dingerkus (60) ist seit 2010 Dozent an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Dort leitet er am Institut für Nachhaltige Entwicklung den Forschungsbereich Integrale Logistik.

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