Vor mehr als drei Jahren hat SBB Cargo die ersten Wagen und Loks mit der CargoFlex, der automatischen Kupplung (AKU) des Herstellers Voith, ausgerüstet. Seit Mai 2019 ist die automatische Kupplung im Teilnetz des kombinierten Verkehrs im Regelbetrieb – mittlerweile sind total 200 Wagen, 20 Strecken- und 15 Rangierloks umgerüstet.
Die beiden Partner SBB Cargo und Voith haben mittlerweile wichtige Erkenntnisse gewonnen und zahlreiche Optimierungen umgesetzt. Die Erkenntnisse fliessen auch in die weiteren Entwicklungen – so beispielsweise diejenige der digitalen automatischen Kupplung (DAK) mit ein.
Drei Fragen an Anja-Maria Sonntag, Projektleiterin Automation bei SBB Cargo und Christian Radewagen, Voiths Experte für die digitale automatische Kupplung.
Seit mehr als 3 Jahren ist die automatische Kupplung von Voith bei SBB Cargo im Einsatz. Was ist Ihr Resümee?
Anja-Maria Sonntag: Seit dem Start läuft der Betrieb überwiegend störungsfrei. Auch unsere Rangiermitarbeiter reagieren positiv: die Arbeitsprozesse sind einfacher und körperlich weniger anstrengend. Eine der grossen Herausforderungen bei der Entwicklung und Einführung war der Mischbetrieb: die Arbeitsabläufe müssen in der alten und in der neuen Welt parallel funktionieren. Hier ist die Hybridkupplung für Lokomotiven ein entscheidender Faktor.
Christian Radewagen: Die Entwicklung einer automatischen Kupplung für den Schienengüterverkehr auf Basis der Technologie, die sich im Personenverkehr bewährt hat, war für uns ein spannendes Projekt. Da wir als erstes Unternehmen diesen Schritt gegangen sind, konnten wir auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Daher war es uns wichtig einen Kooperationspartner zu haben, der mit den Anforderungen im Schienengüterverkehr bestens vertraut ist. In der gemeinsamen Entwicklungsphase mit SBB Cargo haben wir viel gelernt. Von der hervorragenden Zusammenarbeit profitieren wir auch heute nach 3 Jahren noch dank eines regelmässigen Austauschs.
Wie sehen die nächsten Schritte aus und welches sind die Herausforderungen?
Anja-Maria Sonntag: Zur flächendeckenden Einführung muss zunächst die Hürde der DAK-Migration überwunden werden. Entsprechend steht parallel die Entwicklung zur digitalen automatischen Kupplung an. Dieser Innovationsschub kann nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn die gesamte Branche mitzieht. Und die Interaktion mit der europäischen Umstellungsplanung ist sehr wichtig. Schweizer Verlader nutzen teilweise Wagen europäischer Vermieter und fahren europaweite Verkehre.
In der Schweiz geht es in einem nächsten Schritt um die politische Befassung mit der Einführung und Finanzierung der DAK im Schweizer Binnenverkehr.
Christian Radewagen: Der Start in der Schweiz hat europaweit das Interesse geweckt. Neben der einfachen Kuppelverbindung werden weitere Funktionen zur Automatisierung im Rahmen des DAC4EU Programms und im EDDP diskutiert und erprobt.
Die besondere Herausforderung besteht für uns darin, für die unterschiedlichen länderspezifischen Prozesse und Schnittstellen eine einheitliche und geeignete Lösung zu entwickeln.
Die Arbeitsergebnisse, die wir gemeinsam mit SBB Cargo erarbeitet haben, sind dabei eine wichtige Grundlage für den weiteren Entwicklungsprozess. Weil die DAK-Migration für den Schienengüterverkehr so wichtig ist, unterstützt Voith den Prozess seit Beginn aktiv. Hierzu stellen wir Erprobungsträger und bereiten die notwendigen Schritte für die europaweite Migration vor.
Welche Potenziale ergeben sich aus der zukünftigen Automatisierung und Digitalisierung des Schienengüterverkehrs?
Anja-Maria Sonntag: Die digitale automatische Kupplung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur modernen Güterbahn. Sie ermöglicht neben den direkten Effekten des schnelleren und sichereren Rangierens weitere Digitalisierungs- und Automatisierungsschritte in den Betriebsprozessen. Dadurch wird der Schienengüterverkehr effizienter und wettbewerbsfähiger: Eine wichtige Voraussetzung für die Verlagerung des Gütertransportes von der Strasse auf die Schiene. Und die Automatisierung kann die bevorstehende Pensionierungswelle teilweise auffangen. Die Rangierarbeit wird sicherer, digitalisierter und damit attraktiver für die junge Generation unserer Mitarbeitenden.
Christian Radewagen: Die direkten und mittelfristig erreichbaren Potentiale ergeben sich aus einer Strom- und Datenversorgung über die Kupplung mit dem Ziel die Zugabfertigungsprozesse zu automatisieren und somit auch zu beschleunigen.
Des Weiteren können digitale Überwachungen und Bremsansteuerungen das Mitschwimmen des Güterverkehrs mit dem Personenverkehr ermöglichen und so eine Erhöhung der Streckenkapazitäten bewirken.
Das sind notwendige Ziele, um den Güterverkehr gegenüber anderen Transportmitteln, insbesondere der Strasse, in eine bessere Wettbewerbsposition zu bringen. Eine Verlagerung auf die Schiene leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der europäischen Klimaziele und des European Green Deal.