Operation an der Hauptschlagader.

Mit dem Ausbauschritt 2030/35 des strategischen Entwicklungsprogramms (STEP) soll das Schweizer Bahnnetz leistungsfähiger werden. Zentral für die Güterbranche ist dabei ein Expressnetz, das die grossen Logistikzentren miteinander verbindet. Güterzüge sollen bis zu 30 Prozent schneller fahren können. Eine Reportage.

Von der Terrasse der Baustellenkantine im solothurnischen Wöschnau blickt man direkt auf einen rund 30 Meter hohen Berg. Es handelt sich um Aushubmaterial, das bereits aus dem Eppenberg gefördert wurde. Vor dem Tunnelportal warten Betonverschalungen – sogenannte Tübbinge – auf Bahnwagen von SBB Cargo darauf, im frisch ausgebrochenen Eppenbergtunnel verlegt zu werden.

Wir befinden uns auf der «zurzeit wichtigsten Baustelle der SBB», wie Sprecher Christian Ginsig erläutert. Die Strecke zwischen Aarau und Olten wird ausgebaut – und damit die Hauptschlagader zwischen Bern und Zürich. Da es neben den zwei bisher existierenden Spuren keinen freien Platz gibt, werden in einem rund drei Kilometer langen Tunnel zwei neue Spuren in den Berg gebaut. Wir schreiten durch die Röhre. Knapp 13 Meter hoch ist sie, man müsste also gut sieben Erwachsene aufeinanderstellen, damit sie bis zum Tunneldach reichten. Der neue Tunnel ermöglicht es, dereinst zwischen Bern und Zürich in den Hauptverkehrszeiten den Viertelstundentakt einzuführen. Aber auch der Güterverkehr profitiert, wie Gesamtprojektleiter Thomas Schweizer sagt: «Er sichert die Kapazitäten des Güterverkehrs auf dieser Strecke angesichts des Ausbaus des Angebots im Personenverkehr.»

Der Güterverkehr ist «zentral für die Schweizer Wirtschaft».

Inzwischen haben wir die Tunnelbohrmaschine erreicht. Sie liegt auf Rollen und ist 115 Meter lang. Über schmale Treppen und enge Gänge steigen wir bis ganz nach vorne auf die Plattform, von der man auf die Rückseite des Bohrkopfs sieht. Dieser besteht aus 70 Schneiderollen, die sich durch den Jurakalk und die Molasse fressen. Zum Glück wird heute nicht gearbeitet, sonst herrschte ein solcher Lärm, dass man kaum etwas verstehen würde. Auf der Maschine arbeiten bloss 15 Mann. Projektleiter Schweizer ist zufrieden: «Wir haben schon gut die Hälfte des Tunnels durchbrochen und befinden uns dem Zeitplan rund drei Monate voraus.» Statt der geplanten 15 Meter pro Tag schaffe das deutsche Wunderwerk der Technik an gewissen Tagen bis zu 30 Meter Vortrieb. Spätestens Anfang 2018 soll der Durchstich erfolgen.

Der Eppenbergtunnel ist auch ein Markenzeichen der Schweizer Verkehrspolitik.

Anna Barbara Remund, Vizedirektorin Bundesamt für Verkehr (BAV)

Der Eppenbergtunnel schliesst eine wichtige Lücke im schweizerischen Bahnnetz. Und welche Bedeutung hat dabei der Schienengüterverkehr? «Er ist zentral für die Schweizer Wirtschaft», betont Anna Barbara Remund, die Vizedirektorin beim Bundesamt für Verkehr (BAV), «er ist ja auch ein Markenzeichen der Schweizer Verkehrspolitik.» Im Binnen- und im Import-/Exportverkehr bewältigt er rund einen Viertel des Verkehrsaufkommens, im alpenquerenden Verkehr sogar über 70 Prozent. Die Bernerin räumt ein, dass die letzten Ausbauprogramme der Bahninfrastruktur wie «Bahn 2000», ZEB oder «STEP Ausbauschritt 2025» (Glossar siehe Kasten) stärker auf den Personenverkehr ausgerichtet waren als auf den Güterverkehr.

Zwei Varianten für den Ausbauschritt.

Seit das Schweizer Volk 2014 die Vorlage zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) angenommen hat, werden vom Parlament alle vier bis acht Jahre weitere Ausbauschritte beschlossen. Ende Jahr will der Bundesrat die Vorlage über den STEP Ausbauschritt 2030/35 in die Vernehmlassung schicken: Zur Diskussion stehen eine kleine und eine grosse Variante. Für Remund ist klar, dass es darin neben dem Personenverkehr auch gezielte Investitionen in den Güterverkehr braucht: «Wie die Verkehrsprognosen des Bundes für 2040 zeigen, werden die Mobilität der Menschen und die Gütertransporte auf der Schiene weiter stark zunehmen. Deshalb brauchen wir weitere Ausbauten wie zum Beispiel für den Güterverkehr ein Expressnetz.»

Vor allem im Raum Zürich werden die Kapazitäten für den Güterverkehr in Zukunft knapp.

Vincent Baeriswyl, Leiter Netz bei SBB Cargo

Den STEP Ausbauschritt 2025 hatte das Parlament noch gleichzeitig mit der FABI-Vorlage verabschiedet, die Arbeiten sind bereits in Gang. «Dieser Ausbauschritt hat dem Güterverkehr eindeutig zu wenig gebracht», findet Vincent Baeriswyl, der bei SBB Cargo für die Entwicklung langfristiger Verkehrskonzepte verantwortlich ist. «Vor allem im Raum Zürich werden die Kapazitäten für den Güterverkehr in Zukunft knapp, wenn der Personenverkehr das Angebot ausbaut.» Netznutzungspläne schaffen zwar im Prinzip eine Gleichberechtigung zwischen Personen- und Güterverkehr und sichern dem Güterverkehr langfristig Kapazitäten. Laut Baeriswyl reicht dieses durch das neue Gütertransportgesetz 2016 geschaffene Instrument aber nicht aus. Das neue Produktionssystem im Wagenladungsverkehr (WLV 2017), welches das Zustellen und Abholen von Güterwagen besser über die 24 Stunden des Tages verteilt, habe das Problem zwar entschärft, aber nicht vollständig gelöst.

Nachholbedarf beim Güterverkehr.

«Beim STEP Ausbauschritt 2030/2035 gibt es für den Güterverkehr Nachholbedarf», räumt Baeriswyl ein. Er sei aber froh über die grossen Fortschritte im Zwischenstand für den Ausbau 2030/35, der im April vom Bundesamt für Verkehr vorgestellt wurde. Dabei konnte sich die Güterverkehrsbranche erstmals in einer Begleitgruppe in den Planungsprozess beim BAV einbringen, und sie habe dies mit Verve getan. «So weit waren wir noch nie», resümiert Baeriswyl. Dabei geht es erstens um das Expressnetz für den Güterverkehr. Dieses soll die grossen Logistikzentren der Schweiz miteinander verbinden. Es geht vor allem um die Ost-West-Achse zwischen der Ostschweiz und Genf, aber auch um die Verbindung von Basel ins Tessin (Nord-Süd). Die Güterzüge auf diesem Expressnetz sollen neu bis zu 120 Stundenkilometer schnell fahren, dafür aber leichter (bis 800 Tonnen) und kürzer (bis zu 400 Meter) sein. Dies hat den Vorteil, dass sie direkt hinter den Interregios, aber noch vor den Regionalzügen fahren können.

Der schnellere Transport von Waren entspricht einem Kundenbedürfnis, da die Industrieproduktion aus der Schweiz tendenziell rückläufig ist und immer mehr Handels- und Stückgüter transportiert werden. Das Expressnetz muss nicht neu gebaut werden, es reichen punktuelle Anpassungen der Infrastruktur wie der Bau von Überholgleisen (zum Beispiel nördlich von Yverdon) oder neue Signalanlagen, um die Zugfolgezeiten (Abstand, in dem zwei Züge hintereinander fahren können) zu verkürzen. Das Expressnetz ist voraussichtlich sowohl in der 7- als auch in der 12-Milliarden-Variante des STEP Ausbauschritts 2030/35 enthalten.

Grossprojekte in der Pipeline.

Ebenfalls in dem Paket dabei ist der Ausbau der Nationalbahn zwischen Zofingen, Suhr und Lenzburg. Laut Philipp Buhl, der sich bei SBB Infrastruktur um den Netzausbau für den Güterverkehr kümmert, geht es hier um zusätzliche Ausweichstellen, die dem Güterverkehr auf dieser Strecke eine zusätzliche Trasse pro Stunde sichern. Wichtig ist der Abschnitt deshalb, weil die Verteilzentren der Migros in Suhr und von Coop in Schafisheim auf dieser Linie liegen. Zudem ist der Ausbau von Formationsbahnhöfen vorgesehen. Hier haben die regionalen Cargo-Teams ihre Standorte, von denen aus sie die Wagen sortieren und weiterverteilen. Falls sich das Parlament statt für die 7- für die 12-Milliarden-Variante des STEP Ausbauschritts 2030/35 entscheidet, stehen zusätzlich verschiedene Grossprojekte in der Pipeline. Gemäss heutigem Stand wären dies der Ausbau des Bahnhofs Zürich Stadelhofen und der Zimmerberg-Basistunnel II auf der Strecke Zürich-Zug. «Von beiden Projekten würde auch der Güterverkehr indirekt profitieren – dank mehr Kapazität und Stabilität im Fahrplan und Betrieb», sagt Vincent Baeriswyl.

Hauptsache: bezahlbar.

Welche Variante favorisiert die Branchenleaderin im Schweizer Güterverkehr? «Der Lötschberg entfaltet auf den Binnengüterverkehr eine geringe Wirkung, da nur der Wirtschaftsraum Oberwallis angebunden ist», sagt Vincent Baeriswyl von SBB Cargo. Im Transitverkehr bleibe die Lötschbergachse aufgrund des Simplontunnels immer eine Bergstrecke. Stattdessen favorisiert Baeriswyl den Ausbau des Bahnhofs in Zürich Stadelhofen. «Der Güterverkehr würde von zusätzlichen Trassenkapazitäten profitieren, dies sichert die Zu- und Abfahrten aus dem Rangierbahnhof Limmattal.» Zudem würde so die für den Binnengüterverkehr vitale Ost-West-Achse gestärkt.

Auf gewissen Strecken können wir bis zu 40 Prozent mehr Kapazität anbieten.

Philippe Gauderon, Leiter Infrastruktur und Mitglied der Konzernleitung SBB

Was steht für Philippe Gauderon, Konzernleitungsmitglied der SBB und als Leiter Infrastruktur verantwortlich für das ganze SBB-Netz, beim Ausbauschritt 2030/35 im Vordergrund? «Für die SBB ist es zentral, dass die Bahn für die Kunden und die Besteller bezahlbar bleibt», erklärt er. Deshalb wolle die SBB künftig Ausbauten priorisieren, die ein gutes Kosten/Nutzen-Verhältnis haben und langfristig finanziell tragbar sind. «Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir nicht falsch investieren», so der Infra­struktur-Chef. Das geplante Expressnetz für den Güterverkehr ist indes auch für Gauderon zentral. Damit verkürzten sich für den Handel und die Post sowohl im Wagenladungsverkehr wie im kombinierten Verkehr die Fahrzeiten massiv. «Express-Güterzüge fahren künftig bis zu 120 km/h und kommen ohne Stopps und Überholungen von A nach B – teilweise bis zu 30 Prozent schneller als heute.» Zwischen Genf und der Ostschweiz führt dies zu einer Zeitersparnis von 75 Minuten, zwischen der Logistikregion Gäu (bei Olten) und dem Wallis beträgt der Zeitgewinn immer noch 35 Minuten.

Bis der nächste Schritt zum Ausbau des Bahnnetzes beschlossen ist, dauert es noch eine Weile. Zudem untersteht der Beschluss, den das Parlament fassen wird, dem fakultativen Referendum – am Schluss wird also möglicherweise die Schweizer Bevölkerung entscheiden. Diese hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach für eine Verlagerung von der Strasse auf die Schiene ausgesprochen – und damit für einen starken Schienengüterverkehr.

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