Kombinierter Verkehr aus Überzeugung.

Im Vigier-Zementwerk in Péry (BE) laufen die Anlagen Tag und Nacht, um die Nachfrage nach rund 900 000 Tonnen Zement pro Jahr aus der ganzen Schweiz zu decken. Die grösste Herausforderung? «Just in time»-Lieferungen. Dazu setzt Vigier auf kombinierten Verkehr.

In Helm und gelber Leuchtweste besteigt Thierry Gaschen sein Allradauto. Vor dem Anlassen wirft er gewohnheitsmässig einen Blick auf die Wetter-App seines Smartphones. «Wenn es morgen regnet, können wir unser Lieferprogramm vergessen», sagt er. Das scheint den Leiter Logistik von Vigier Ciment aber nicht zu erschüttern. Tatsächlich sind er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geübt im Umgang mit unvorhergesehenen Ereignissen. «Pro Tag müssen wir 15 bis 20 Prozent unserer Planung anpassen.»

Dies ist eine der grössten Herausforderungen für den Zementhersteller aus Péry im Berner Jura. «Rund 80 Prozent unserer Kunden sind Betonwerke mit geringer Lagerkapazität. Daher liefern wir ihnen Zement «just in time» mit bis zu drei oder vier Teillieferungen pro Tag.» Im Gegenzug reichen Wetterkapriolen oder Pannen auf einer Baustelle aus, dass in letzter Minute mehrere Lieferungen abgesagt werden. Bei Vigier Ciment – ein Unternehmen der Vigier Holding, die wiederum seit 2001 zur französischen Vicat-Gruppe gehört – ist Routine daher fast ein Fremdwort.

2000 Grad.

Wer mit Thierry Gaschen im Jeep den Standort in der Klus von Reuchenette erkundet, sieht, wie sehr die Arbeiten in den Werksbereichen ständig im Fluss sind. «Unsere Anlagen laufen das ganze Jahr rund um die Uhr», so der Logistikchef. Was ist der Grund dafür? Im Herzen der Anlage steht ein riesiger, bis zu 2000 Grad Celsius heisser Ofen, in dem das mineralische Rohmehl gebrannt wird. «Bis die Betriebstemperatur erreicht ist, dauert es Stunden, wenn nicht gar Tage!» Ausschalten kommt daher nicht in Frage, da es sich um einen wahren Energiefresser handelt. Um die Folgen dieses Energieverbrauchs für die Umwelt im Rahmen zu halten, verwendet das Unternehmen zu fast 90 Prozent Abfälle als Brennstoff, von Altöl über Altholz bis zu Klärschlamm.

Neben dem 68 Meter langen Drehofen zum Brennen des zerkleinerten und getrockneten Steinmaterials – des Rohmehls – zu Zementklinker sticht den Besuchern ein zweites Wahrzeichen ins Auge: das Fördersystem, mit dem Kalk und Mergel nach dem Sprengen im Tscharner-Steinbruch über mehr als zwei Kilometer weit transportiert werden. Weitere eindrück­liche Bauten des 1890 errichteten Werks sind die nicht weniger als 100 000 Tonnen fassenden Klinkersilos, der Ausgangsort für die letzte Phase der Zementherstellung. Der Klinker wird in einer Kugelmühle mit Gips und Kalk vermischt und zu Zement gemahlen.

Vigier Ciment stellt jährlich über 900 000 Tonnen des kostbaren Mahlguts her. Zusammen mit Kies, Sand und Wasser entsteht daraus Beton. Dies sind fast 20 Prozent des gesamten schweizerischen Bedarfs, wie Thierry Gaschen ausführt. Aus der Fabrik in Péry wird Zement an Kunden im ganzen Land verschickt, vom Wallis über Luzern und Genf bis nach Zürich, ohne die Hauptmärkte im Berner Jura, in Bern und Umgebung, der Drei-Seen-Region, Solothurn und dem Berner Oberland zu vergessen. Die Schiene war schon immer wichtig für Vigier Ciment, dessen Schwesterunternehmen Vigier Rail Betonschwellen und feste Fahrbahnen in Tunnels baut. Mit einem Anstieg von beinahe 50 Prozent in den letzten zehn Jahren ist der Bahnverkehr allerdings geradezu explodiert. Derzeit liefert das Unternehmen mit seinen 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwa die Hälfte seiner Produk­tion per Bahn aus.

Hundert neue Wagen.

Im Zuge des Trends zur Nachhaltigkeit wurden grosse Investitionen in die Bahn-infrastruktur und in Silowagen getätigt. In den letzten Jahren hat Vigier rund 100 neue Wagen in Betrieb genommen. Diese Staubgutwagen tragen 13,5 Meter lange Stahlsilos, die bis zu 70 Tonnen losen Zement fassen. In 15 Minuten ist ein Silo gefüllt, dann geht es mit der Werkslok zum Bahnhof Reuchenette-Péry, wo das Team von SBB Cargo die Wagen weiter­leitet, über die grossen Rangierbahnhöfe zu einer der fast 40 Destinationen in der ganzen Schweiz. Meistens erfolgt der letzte Teil der Lieferung über die Strasse. «Nur zehn Prozent unserer Kunden haben eigene Gleisanschlüsse. In neun von zehn Fällen sieht der Empfänger die Güterwagen überhaupt nicht, da ihr Inhalt einige Kilometer zuvor auf Lastwagen umgeladen wurde», erklärt Thierry Gaschen.

Das Unternehmen steht voll und ganz hinter dem kombinierten Strassen-Schienen-Verkehr. Kein einfaches Unterfangen, wie Thierry Gaschen gerne zugibt. «Silowagen sind teuer, daher müssen wir die Umschlagshäufigkeit optimieren. Der Zement-Transportzyklus dauert mindestens drei Tage: Versand, Entladung, Rückfahrt. Zusammen mit den Schwankungen im Bausektor ergibt dies ein komplexes planerisches Puzzle!» Thierry Gaschen sagt frei heraus, dass das Konzept WLV 2017 von SBB Cargo seinem Team einiges abverlangt hat, da es «alle Prozesse eingehend prüfen und enorm flexibel vorgehen musste». Dennoch ist der Logistikchef der Meinung, dass sich die anfänglich negativen Effekte von WLV 2017 dank der Task Force von SBB Cargo in Grenzen halten dürften.

«Die Politik einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft motiviert uns, den Schienenverkehr gegenüber der Strasse zu privilegieren. Die Strassen werden entlastet und unsere Kunden, Partner und Mitarbeitenden sind zufrieden», begründet Gaschen die Einstellung der Firma. Eine Reise nach Péry zeigt die Sym­biose zwischen Vigier Ciment und der Bahn: Rund um den Bahnhof fügen sich die allgegenwärtigen Silowagen mit dem blauen Firmenlogo wie selbstverständlich in die Landschaft ein.

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