Bertschi

«Bahn oder Strasse, das ist kein Thema mehr»

SBB Cargo öffnet sich für Partner und will mit ihnen auf zukunftsträchtige Verkehre setzen. Der Unternehmer Hans-Jörg Bertschi äussert sich im Gespräch mit der SBB-Spitze – Andreas Meyer und Nicolas Perrin – über den Wandel der Bahn in einer digitalen und automatisierten Ära.

Die Bertschi AG expandiert, schrieb im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr Umsatz – und trotzdem sehen Sie sich unter dem Druck eines Markts im Umbruch. Woraus besteht dieser?
Hans-Jörg Bertschi: In der Branche herrscht viel Dynamik – die Wirtschaft globalisiert sich und lagert Logistikleistungen aus, der Digitalisierungsschub zwingt uns mitzuhalten.

Wo sehen Sie SBB Cargo heute in diesem Wandel, mit dem die SBB kommende Veränderungen ankündigt?
Bertschi: Unter den europäischen Bahnen steht SBB Cargo in manchem vorn. So forciert das Unternehmen das automatische Kuppeln und arbeitet an transparenten Warenflüssen – eine grosse Aufgabe für alle von uns, Kunden inbegriffen. Beim autonomen Fahren ist der Schienengüterverkehr erstaunlicherweise weniger weit als die Strasse, obwohl es hier einfacher wäre.

«Die Stärken der Bahn bleiben das Fundament von SBB Cargo.»
Andreas Meyer, CEO SBB AG

Andreas Meyer, Sie haben im März 2018 kommuniziert, dass SBB Cargo schlanker werden und sich ganzheitlich wandeln müsse. Schrauben Sie nun am Fundament von SBB Cargo?
Andreas Meyer: Wir müssen uns in Zukunft noch mehr auf die Stärken der Bahn konzentrieren. Sehen Sie: SBB Cargo International konnte das Ergebnis 2017 trotz des siebenwöchigen Streckenunterbruchs in Rastatt (Deutschland) verbessern. Der System-Wagenladungsverkehr von SBB Cargo zwischen Schweizer Wirtschaftsräumen war bei den beladenen Wagen leicht rückläufig, der Transport von kleinteiligen und unregelmässigen Mengen im Einzel-Wagenladungsverkehr stark rückläufig. Dieser Rückgang hat sich entgegen den gemeinsamen Entwicklungsplänen mit den Kunden beschleunigt – auch weil der Trend hin zu kleineren Sendungsgrössen und grösserer Flexibilität zugenommen hat und dies noch weiter tun wird. Wir sind stark bei Verkehren über längere Strecken mit grosser Gütermenge. Darauf werden wir uns konzentrieren. Für Feinverteilung ist die Bahn nicht gemacht und zu teuer. Dafür sind umweltfreundliche Lastwagen geeigneter und flexibler.

Bertschi: Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren ist 2017 die Zahl der Lastwagen im Transit durch die Schweiz auf weniger als eine Million zurückgegangen. So etwas gelingt bis heute einzig der Schweiz. Und SBB Cargo International hat wesentlich zu diesem Wandel beigetragen. In den sieben Jahren ihres Bestehens hat sie auf der Nord-Süd-Achse 15 Prozent Marktanteil auf der Schiene gewonnen. Innerhalb der Schweiz sehe ich das gleiche Potenzial. Man muss aber auch hinzufügen:

Bahn oder Strasse – diese Differenzierung ist in der Logistik eigentlich kein grosses Thema mehr.

Wir müssen beide Komponenten auf den langen und kurzen Strecken miteinander verbinden, das ist die optimale Lösung.

Hier eine europäische Hauptachse, dort ein flächendeckendes Netz: Das sind doch zwei verschiedene Dinge.
Nicolas Perrin: Ja, aber trotzdem ist die Rezeptur eine ähnliche.

Bei SBB Cargo International haben wir uns auf Wachstumsmärkte fokussiert; kleine Verkehre mit grossem Aufwand stiessen wir ab. Das erforderte Härte, machte uns aber besser.

Im Binnenverkehr verzettelten wir uns weiterhin, wagten keinen ähnlichen Schritt. Nun haben wir aus dem internationalen Geschäft gelernt und müssen dasselbe für den Schweizer Markt anwenden.

Meyer: Als entscheidend für den Erfolg von SBB Cargo International sehe ich die strikte Konzentration auf ebendiese Stärken der Bahn – und dass wir mit Hupac einen starken Bedarfsträger mit an Bord geholt haben. Solche Partner sorgen dafür, dass dort Investitionen erfolgen, wo die Kunden sie auch nutzen. Und für den gemeinsamen Erfolg passen sie auch ihre eigenen Logistikketten an.

Perrin: Spannend ist, dass bei diesem Schritt nicht nur Hupac allein profitierte. Die Partnerschaft hat uns gegenüber allen Kunden besser und erfolgreicher gemacht.

Jetzt öffnen Sie sich für Partner auch im Schweizer Geschäft. Doch wird eine Firma überhaupt Partner finden, die 2017 im Schweizer Geschäft rund 30 Millionen Franken Verlust gemacht hat?
Bertschi: Eine berechtigte Frage. Es braucht nun ganz klar erste glaubhafte Schritte von SBB Cargo auf dieser Reise, bevor Partner gesucht werden können.

Meyer: Ein erster Schritt ist eine Wertberichtigung mit Sanierungsrückstellungen im Umfang von knapp 189 Millionen Franken, die der SBB-Konzern durchgeführt hat. Zuversicht gibt auch zu spüren: Unsere Kunden haben ein grosses Interesse daran, dass das Gütergeschäft stabil in schwarzen Zahlen steht. Sicherheit ist ihnen wichtig.

«Wir haben aus dem internationalen Geschäft gelernt und wenden dies auf den Schweizer Markt an.»
Nicolas Perrin, CEO SBB Cargo AG

Glaubwürdige Schritte sind gefordert. Anders gesagt: SBB Cargo hat im März die Tatsachen auf den Tisch gelegt. Jetzt muss das Unternehmen halten, was es verspricht.
Perrin: Das ist richtig. Wir haben bereits erste Massnahmen ergriffen, müssen und wollen uns weiterentwickeln. Dafür haben wir einen stabilen Plan: Kurzfristig verschlanken wir Strukturen, trennen uns von unrentablen Leistungen, verbessern Prozesse. Die Folgeprogramme weisen in die Zukunft: automatisieren, marktgerechte Angebote weiterentwickeln, mit KMU-ähnlichen Strukturen einfacher, günstiger, schneller und marktnäher werden. Dies wollen wir mit Partnern weitertreiben – eine spannende Sache.

Und was ist mit Kunden, die Verlust bringen und nicht mehr ins Konzept passen? SBB Cargo überprüft momentan bei rund hundert Bedienpunkten, ob eine tägliche Bedienung weiterhin notwendig ist.
Perrin: Bei SBB Cargo führen rund 90 Prozent der Transporte über nur die Hälfte aller Bedienpunkte. Im zweiten Quartal 2018 werden wir mit den betroffenen Kunden deshalb aktiv Lösungen suchen. Dabei wird es keine Überraschungen geben. Im Vordergrund steht, gemeinsam mit Kunden alternative Lösungen zu finden. Aber wir müssen ja auch ehrlich mit uns sein: Für die Feinverteilung sehr kleiner Mengen ist der Lastwagen nun einmal flexibler und effizienter.

Bertschi: Dies ist ja das Tagesgeschäft von uns allen als Logistiker. In neun von zehn Fällen finden sich Lösungen, in einem verlieren wir den Verkehr.

Der Systemwechsel zum neuen Wagenladungskonzept «WLV 2017» ist noch relativ frisch, und schon kündigen Sie den nächsten Schritt an. Wie verträgt sich das mit der Verlässlichkeit, welche die Kunden erwarten?
Perrin: Das Netz der Bedienpunkte kann nie statisch sein. Es ist für einen Markt gemacht, und der verändert sich.

Die Einführung von WLV 2017 war schwierig. Doch das System hat die Basis für eine Weiterentwicklung gelegt

Wachsende Märkte gewährleisten mehrmalige tägliche Verbindungen, mehr Kapazität und mehr Tempo, ein Buchungssystem bringt Transparenz in die Transporte.

Meyer: Wer sein System nicht stetig optimiert, der verliert. In Wirtschaft und Logistik wird die Dynamik nämlich künftig immer schneller zunehmen.

Der Bundesrat postuliert, dass SBB Cargo mehr unternehmerische Freiheit brauche. Wie sehen Sie das?
Meyer: Diesen Weg gehen wir schon länger. SBB Cargo International funktioniert sehr unternehmerisch und hat weitgehende Freiheiten. Bei der Öffnung von SBB Cargo Schweiz wollten wir punkto Kooperationen in der Vergangenheit sogar weiter gehen als der Bundesrat.

Perrin: Wir stehen unter dem Druck eines positiven Ergebnisses. Erfolg ist wichtig für unsere Partner und motiviert uns alle als Mitarbeitende. Noch wird bei SBB Cargo International die vollständig unternehmerische Ausrichtung viel besser akzeptiert, weil andere Aktionäre dabei sind und ihre Existenz nicht selbstverständlich erscheint. Auch im Schweizer Geschäft wird sie aber beflügelnd wirken und die Leistung verbessern.

Partner für SBB Cargo sind auch als Kapitalgeber gefragt, denn unter anderem erfordern Digitalisierung und Automation grosse Investitionen. Welchen Mehrwert haben die potenziellen Partner von diesem Einstieg?
Meyer: Sicher die Gewissheit, dass ihre Einlage in die Weiterentwicklung des Cargo-Geschäfts investiert wird. Sie versickert nicht im Konzern. Wie bei SBB Cargo International wird die Kooperation zudem für Bahnleistungen sorgen, die sich konsequent auf die Kundenbedürfnisse ausrichten.

Bertschi: Auch meine Firma, die Bertschi AG, bindet mit Joint Ventures Kunden in den Werkverkehr ein. So stehen wir mit Investitionen nicht plötzlich im Regen. Auf solcher Partnerbasis lässt sich auch im Schienenbinnenverkehr ein erfolgreiches Geschäft aufbauen, da bin ich zuversichtlich. Die Knappheit an Lastwagenfahrern, die Logistikanforderungen der Industrie oder das Nachtfahrverbot der Strasse unterstützen dabei.

Perrin: Unausgesprochen sind Vertrauen und Commitment schon heute wichtig. Mit Partnerschaften lässt sich dies noch verstärken. So können wir das Geschäft sicherer weiterentwickeln.

Jene, die sich nicht beteiligen: Werden sie Kunden zweiter Klasse?
Perrin: Nein. Sie werden von verbesserten Leistungen und einem zukunftsgerichteten Geschäftsmodell mitprofitieren. Dies hat sich schon bei SBB Cargo International erwiesen. Auch im Wagenladungsverkehr funktioniert das Modell nur, wenn wir diskriminierungsfrei arbeiten und andere Kunden nicht benachteiligen.

Bertschi: SBB Cargo International hat es tatsächlich gezeigt: Auch für Konkurrenten von beispielsweise Hupac ist das Produkt besser geworden. Die Kunden werden nicht diskriminiert. Schwierig würde es dann, wenn sich Trittbrettfahrer beteiligten und nichts zum Erfolg des Unternehmens beitragen wollten.

Herr Bertschi, Sie sind mit Ihrer Gruppe eher global unterwegs als national. Dennoch die Frage: Ist eine Beteiligung an SBB Cargo für Sie ein Thema?
Bertschi: Ganz unbedeutend ist unser Schweizer Geschäft nicht, und ich sehe auch im Inland gute Chancen für SBB Cargo. Ich bin also durchaus offen.

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