«Ohne Deutschland ist das nicht zu schaffen»

Bis 2030 möchten die europäischen Güterbahnen dreissig Prozent der Waren auf der Schiene transportieren. Die Güterbahnchefs Nicolas Perrin (SBB Cargo) und Roland Bosch (DB Cargo) verraten, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Und sie äussern sich zu ihrer Vertragsverlängerung im Alpentransit.

Herr Bosch, Sie waren bis vor acht Jahren Finanzmanager beim Autohersteller Daimler. Nun leiten Sie das europaweit grösste Güterbahnunternehmen. Wie passt das zusammen?

Roland Bosch: Das passt für mich gut. Wir sind ja als DB Cargo das verlängerte Fliessband für Kunden wie Daimler auf der Schiene. Wir liefern viel an Daimler und organisieren die Logistik von den Werken an die Kunden. Es ist hilfreich zu wissen, worum es bei der Autoindustrie geht und worauf sie Wert legt. Ausserdem fahren wir mit DB Cargo ja mittlerweile Güterzüge von Europa bis nach China. Da ich bei Daimler in China gearbeitet habe, schliesst sich für mich der Kreis gewissermassen wieder.

Gibt es etwas, was die Bahn von der Autobranche lernen kann?

Bosch: Wenn unsere Prozesse alle so effizient organisiert wären wie in der Autoindustrie, wären wir als DB Cargo einen grossen Schritt weiter. Man kann dies natürlich nicht eins zu eins vergleichen, weil die Autoindustrie in abgeschlossenen Werkhallen produziert – wir produzieren in ganz Deutschland. Trotzdem: Die Art, wie Prozesse festgeschrieben sind, wie nach diesen gearbeitet wird und wie anhand dieser IT konstruiert wird, da können wir einiges lernen. Auch der Wissensaustausch zwischen den Werken ist vorbildlich.

Herr Perrin, SBB Cargo (2300 Mitarbeitende) ist mehr als zehnmal kleiner als DB Cargo (28 000 Mitarbeitende). Ist ein Verhandeln auf Augenhöhe überhaupt möglich?

Nicolas Perrin: Wir arbeiten im Schienengüterverkehr mit vielen Unternehmen zusammen, zum Beispiel in der Allianz Xrail zur Förderung des Wagenladungsverkehrs. Ein ernsthafter Austausch kann nur auf Augenhöhe erfolgen. Mit DB Cargo läuft die Zusammenarbeit besonders gut. Wir begegnen uns mit viel Respekt.

Am 25. Januar 2019 hat DB Cargo den Transitvertrag mit SBB Cargo für die Fahrt von Güterzügen durch die Schweiz vorzeitig auf den Fahrplanwechsel 2019 / 20 um drei Jahre verlängert. Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?

Bosch: DB Cargo und SBB Cargo arbeiten im Alpentransit seit fünf Jahren erfolgreich zusammen. Dies hilft uns, Transporte von der Strasse auf die Schiene zu bringen. Wir führten einen Dreistundentakt zwischen Mannheim und Chiasso und damit ein leistungsstarkes Transportsystem auf der Rheinschiene bis nach Italien ein. Es gab Höhen und Tiefen. Es zeigte sich jedoch, dass die Zusammenarbeit auch in schwierigen Situationen funktioniert. Auch während der Streckensperrung in Rastatt beispielsweise versuchten wir, gemeinsam für die Kunden Lösungen zu finden. Mit der Vertragsverlängerung bauen wir die erfolgreiche Zusammenarbeit weiter aus.

Bisher fuhr SBB Cargo für DB Cargo rund 8000 Güterzüge pro Jahr durch die Alpen. Bleibt das Volumen in etwa gleich?

Perrin: Es gibt Veränderungen im Portfolio, auch im Hinblick auf die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels Ende 2020. Einige Züge fährt DB Cargo künftig selber, andere fahren neu wir. Am Schluss geht’s darum, dass möglichst viele Güter auf der Schiene rollen.

Die Zusammenarbeit mit DB Cargo hat eine sehr grosse Bedeutung für uns.
Nicolas Perrin, CEO SBB Cargo AG

Warum fährt DB Cargo die Transporte durch die Schweiz eigentlich nicht selber – wäre das nicht billiger?

Bosch: Wir fahren mit unserem Tochterunternehmen DB Cargo Schweiz auch Transporte selber. Wir machen dies aber auch mit Partnern, weil sich die Zusammenarbeit bewährt hat.

Welche Bedeutung hat der Auftrag aus Deutschland für SBB Cargo?

Perrin: Eine sehr grosse. Wie mit vielen anderen Kunden ist daraus eine echte Partnerschaft geworden. Der alpenquerende Transit durch die Schweiz ist für uns und für unseren Eigner, die SBB und damit den Bund, sehr wichtig. Mit der Zusammenarbeit können wir für DB Cargo einen Mehrwert schaffen, weil wir mehr Menge haben und damit effizienter produzieren können. Das kommt auch der Verlagerung auf die Schiene zugute.

Wie könnte die Zusammenarbeit noch verbessert werden – und wie läuft der Informationsaustausch?

Bosch: Der Austausch läuft auf der operativen Ebene gut, trotzdem kann die Zusammenarbeit auf jeden Fall verbessert werden. Die Erwartungen unserer Kunden und auch derjenigen von SBB Cargo steigen. Das gilt sowohl für die Zuverlässigkeit wie die Flexibilität. Stichworte sind Güterwagen und Lokomotiven, die mit intelligenter Technik ausgestattet werden. Auch muss der Lärm der Güterwagen weiter reduziert werden. Die Akzeptanz der Bevölkerung für Lärmimmissionen wird in Deutschland und wohl auch in der Schweiz kleiner. Da müssen wir sehr aktiv daran arbeiten und uns auf die neuen Gegebenheiten einstellen.

Sieht im grenzüberschreitenden Güterverkehr noch viel Verbesserungspotenzial: Nicolas Perrin.

Perrin: Wichtig ist für mich, dass wir bei Störungen den Informationsaustausch noch weiter verbessern und auf vorbereitete Rückfallszenarien zurückgreifen können.

Herr Bosch, die Sperrung der Rheintalstrecke bei Rastatt im Herbst 2017 hatte grosse Auswirkungen auf den Güterverkehr in Deutschland und der Schweiz. Die Strecke hatte sich wegen Tunnelbauarbeiten abgesenkt. Was hat die DB unternommen, damit das nicht mehr passiert?

Bosch: Das ist eher eine Frage an DB Infrastruktur. DB Cargo hat ebenso unter den Folgen der Streckensperrung gelitten wie SBB Cargo. Die DB Infrastruktur hat das Störfallmanagement verbessert, es gibt neu ein entsprechendes Handbuch. Zudem arbeitet DB Infrastruktur mit anderen europäischen Bahnen daran, die Durchgängigkeit von Verkehren zu erhöhen.

Herr Perrin, welche Lehren haben Sie aus der Streckensperrung gezogen?

Perrin: Wir müssen uns deutlich besser auf Umleitungen vorbereiten. Dies beinhaltet auch allfällige Ausbauten in den Bahnkorridoren. Wir waren alle ungenügend auf ein solches Ereignis vorbereitet und verloren deshalb zu Beginn viel Zeit. Zudem müssen die Zusammenarbeit und die Zuverlässigkeit in den Bahnkorridoren weiter gefördert werden. Rastatt darf sich nicht wiederholen. Auch wenn es vielleicht unangenehm ist: Wir müssen den Druck hochhalten, damit wir nicht in den alten Trott verfallen.

Güterverkehr kann nur erfolgreich sein, wenn er auch europäisch gedacht wird.
Roland Bosch, CEO Deutsche Bahn Cargo

Bleiben wir bei den Güterverkehrskorridoren, welche die EU ja definiert hat, um den Bahntransport attraktiver zu machen. Korridor 1 von Rotterdam bis Genua führt durch die Schweizer Alpen (Gotthard und Lötschberg). Welche Hindernisse sind noch zu überwinden?

Für Roland Bosch hat sich die Zusammenarbeit mit SBB Cargo bewährt.

Bosch: Zum Ersten ist die grenzüberschreitende Interoperabilität bei Fahrzeugen und Betriebsvorschriften zu verbessern. Es geht um Brems- und Zugbildungsvorschriften sowie um die Frage, wie viele Leute es auf einer Lok braucht. In Italien sind es immer noch zwei Lokführer – in Deutschland und der Schweiz ist es nur einer. Zweitens geht es um das durchgängige Zugsicherungssystem ETCS und einen grenzüberschreitend abgestimmten Implementierungsplan. Drittens braucht es eine internationale Abstimmung bei Baustellen. Viertens möchten wir durchgängig mit 740 Meter langen Zügen rollen. Wir fahren auf dem Korridor zwischen Rotterdam und Genua verkettet, und eine Kette ist nur so stark wie das schwächste Glied. Wenn auf einem bestimmten Abschnitt ein Zug weniger lang sein darf oder eine andere Vorschrift gilt, bildet sich ein Flaschenhals. Dies führt zu einer Behinderung des Verkehrs auf dem gesamten Korridor – und nicht nur auf dem Teilstück.

Perrin: Ich schliesse mich dem vollumfänglich an. Noch anfügen möchte ich, dass bei der Nutzung des Korridors zu oft nationale und regionale Interessen im Vordergrund stehen. Wenn Güter auf langen Strecken auf die Bahn verlagert werden, profitieren auch die Menschen in den Regionen, zum Beispiel durch eine Entlastung der Strassen. Da muss man halt auch mal in Kauf nehmen, dass eine S-Bahn zwei Minuten später fährt, wenn dafür der Güterverkehr auf dem Korridor rollt.

Wie funktioniert der grenzüberschreitende Güterverkehr mit Deutschland, Herr Perrin? Ist es vor allem der Verkehr mit Italien, der Probleme macht?

Perrin: Wir haben viele Fortschritte gemacht. So arbeiten wir ja nicht nur im Transitverkehr mit DB Cargo zusammen, sondern auch im Wagenladungsverkehr über die Allianz Xrail. Da tun wir sehr viel, um unseren Kunden bessere Leistungen zu liefern. Einiges muss aber noch besser werden: Zum Beispiel werden Fahrpläne nicht angepasst. So geht der Zeitgewinn, den der Gotthard-Basistunnel eigentlich brachte, verloren, und wir fahren bis Köln noch mit dem alten Fahrplan. Das war natürlich nicht die Idee dieses Bauwerks.

Herr Bosch, wenn wir mal vom Korridor Rotterdam – Genua absehen, wie steht es mit der Zusammenarbeit mit anderen Staaten wie zum Beispiel Österreich und Polen?

Bosch: Was ich vorher zu diesem Korridor gesagt habe, gilt auch für die anderen Staaten. Die Themen sind im Allgemeinen ähnlich gelagert.

Die Rail Freight Forward, eine Koalition europäischer Güterbahnunternehmen, möchte bis 2030 dreissig Prozent der Güter auf der Schiene transportieren (Anteil heute: rund achtzehn Prozent). Wie realistisch ist dieses Ziel, und was braucht es für Massnahmen, damit es erreicht wird?

Bosch: Das Ziel ist sehr, sehr ehrgeizig. Wenn alle relevanten Parteien, also die Güterverkehrsunternehmen, die Infrastrukturunternehmen und die Politik zusammenarbeiten, ist es erreichbar. Dabei müssen alle davon überzeugt sein, dass das die beste Möglichkeit ist, die europäischen Ziele für die Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Für die Güterverkehrsunternehmen heisst es zunächst, dass sie ihre Hausaufgaben machen müssen: die Prozesse im eigenen Haus verbessern, die Digitalisierung konsequent einsetzen und damit letztlich verlässliche und pünktliche Transporte ermöglichen.

Ende 2020 wird der Ceneri-Basistunnel eröffnet und damit die Neat fertiggestellt. Welche Wachstumschancen versprechen Sie sich?

Bosch: Die Nord-Süd-Verbindung durch den Gotthard ist schon heute eine der wichtigsten Achsen in Europa, und die wird künftig besser. Insofern sehen wir gute Möglichkeiten für Wachstum, wir setzen darauf. Es gibt allerdings noch Engpässe auf der deutschen Seite, zum Beispiel auch den Abschnitt Karlsruhe–Basel. Wenn diese noch aufgelöst werden, können wir künftig ein noch besseres Produkt anbieten als heute.

Herr Perrin, hilft die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels zur Erreichung des Dreissigprozentziels?

Perrin: Auf jeden Fall. Damit verbunden sind ja ein Ausbau der Tunneleckhöhe auf vier Meter auf der Achse bis nach Italien sowie die baulichen Voraussetzungen, um mit 740 Meter langen Zügen fahren zu können. Wie schon von Roland Bosch gesagt, liegt der Engpass dann im Norden – wir warten sehnlichst auf dessen Behebung. Ferner muss auch in Italien die Umschlagkapazität der Containerterminals erhöht werden. So wird die Gotthardachse einen überproportionalen Teil zu unserem Ziel beitragen können.

Herr Bosch, wenn Sie einen Wunsch frei hätten an die Schweizer Seite (sei es an die Bahn oder an die Politik), was würden Sie sich wünschen?

Bosch: Mein Wunsch geht nicht so sehr an die Schweiz als an den Sektor: Güterverkehr kann man nur erfolgreich betreiben, wenn er auch europäisch gedacht wird. Das Ziel, bis 2030 dreissig Prozent der Güter auf der Schiene zu transportieren, ist ambitioniert. Ich wünsche mir, dass wir mit internationaler Kooperation und mit Initiativen wie mit dem Noah-Zug so erfolgreich sind, dass wir den Bahnanteil im Güterverkehr signifikant erhöhen können.

Und umgekehrt, Herr Perrin, was wünschen Sie sich von der deutschen Seite?

Perrin: Deutschland hat im europäischen Güterverkehr eine zentrale Stellung. Mein Wunsch ist, dass neben DB Cargo auch DB Netz und die deutsche Regierung die Schrittmacherfunktion für eine Verkehrsverlagerung aktiv wahrnehmen und unser Ziel unterstützen. Ohne Deutschland ist das nicht zu schaffen.

 

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