Potenzial des Rhein-Alpen-Korridors ausschöpfen

Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ist das Jahrhundertwerk Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) fertiggestellt. Nach dem Lötschberg- und dem Gotthard-Basistunnel ist der Ceneri-Basistunnel das letzte Schweizer Puzzlestück, um die durchgehende Flachbahn auf der europäischen Nord-Süd-Achse Realität werden zu lassen. Ein Blick auf Potenziale und Hürden.

Durchgehend 750 Meter Länge und 2000 Tonnen Gewicht für Güterzüge ab 2021 durch die Schweiz: Damit wird die Kapazität des Schienengüterverkehrs durch die Alpen nochmals beträchtlich gesteigert. Im Vollbetrieb können sechs Güterzüge pro Stunde und Richtung durch den Gotthard-Basistunnel fahren, vier davon weiter durch den Ceneri, zwei über die Luino-Strecke. Mit dem durchgehenden Viermeterkorridor von Basel nach Chiasso bzw. Luino werden die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene vorangetrieben und eine zusätzliche Kapazität für mehr als 240 000 Sattelauflieger pro Jahr geschaffen. Güterzüge auf  der Fahrt von Genua nach Rotterdam werden bis zu zwei Stunden früher ankommen als bisher. Und sind auch noch die Zulaufstrecken in der Schweiz vollendet, werden noch mehr Verbindungen und kürzere Fahrzeiten für Güter und Personen im nationalen und internationalen Verkehr ermöglicht. Bis die Güterzüge so rollen, bleibt noch einiges zu tun.

Schwachstellen

Erinnern wir uns an den 12. August 2017 oder generell an die Zeit ab Juni 2017: Güterbahnen, Operateure und Verlader haben sich nicht so rasch vom siebenwöchigen Unterbruch in Rastatt und der halbjährigen Luino-Sperre erholt. Beides waren enorme zusätzliche Herausforderungen für den internationalen Güterverkehr. Sie haben in voller Härte die Schwachstellen des Korridors und vor allem der europäischen Koordination gezeigt. Jede länger dauernde Störung ist eine Belastungsprobe für die Güterverkehrskunden und die betroffene Wirtschaft. Die Kosten und der Schaden sind für alle Beteiligten gross, der Vertrauensverlust in das System Eisenbahn auch. Die Bahnen wollen deshalb die Chance nutzen, das Angebot im alpenquerenden Verkehr zu verbessern. Mit dem Ceneri-Basistunnel ist die «Hardware» dazu vorhanden. Damit die Flachbahn ihre Stärken auch entfalten kann, braucht es nun noch verstärkt Investitionen in die «Software». Das sind beispielsweise geringere Wartezeiten an den Grenzen, eine über die ganze Nord-Süd-Achse gesteuerte Baustellenkoordination und eine konsequentere Fahrplanabstimmung in den einzelnen Ländern, damit der Güterverkehr bei Abweichungen nicht ausgebootet wird.

Rail Freight Forward

SBB Cargo engagiert sich gemeinsam mit europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen in der Koalition Rail Freight Forward (RFF): für mehr Verkehrsverlagerung und für Vereinfachungen auf dem Nord-Süd-Korridor. RFF ist ein stetig wachsender Zusammenschluss europäischer Eisenbahnverkehrsunternehmen, die von den internationalen Verbänden CER, UIC, ERFA und VDV unterstützt werden. Neben SBB Cargo sind DB Cargo, Rail Cargo Austria, Lineas sowie SNCF im Kernteam aktiv.  

Die beteiligten Güterbahnen und Verbände haben ein Weissbuch verabschiedet, um den Güterverkehr zu stärken. Zum einen sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen selbst in der Pflicht: Sie müssen an ihrer Kundenorientierung arbeiten sowie einfache und innovative Transportlösungen anbieten. Für mehr Wettbewerbsfähigkeit gilt es die Produktivität zu erhöhen und die Leistung zu steigern. Technische Innovationen und Digitalisierung sind Pflicht.  

Zum anderen müssen auf Ebene Infrastruktur Schiene und LKW vergleichbar werden: Ein Güterzug sollte ohne Einschränkung durch Europa fahren können. Durch Standardisierung (z. B. durch das einheitliche Zugbeeinflussungssystem ETCS), die Möglichkeit grenzüberschreitender Trassenbestellung, weniger nationale Spezifikationen, einfachen Netzzugang und die Abschaffung länderspezifischer Zugangsbestimmungen wird die Abwicklung der Transporte erleichtert. Einheitliche Zugparameter vervollständigen den Katalog.

RFF nimmt auch den Fahrplanprozess unter die Lupe und schlägt für den Schienengüterverkehr eine rollierende Form vor, um Marktschwankungen und Kundenbedürfnisse aufzufangen. Die Politik ist für gleich lange Spiesse zuständig: zum Beispiel in Bezug auf Anforderungen an Personal, Sicherheit und Administration wie beispielsweise die länderspezifische Sicherheitsbescheinigung der Bahnen.

Ins Tessin und nach Italien

Mit dem Ceneri-Basistunnel wird auch innerhalb der Schweiz eine neue Dimension für den öffentlichen Verkehr eingeläutet. Resultat sind positive Impulse für Wirtschaft, Tourismus und Bevölkerung des Tessins sowie der angrenzenden Lombardei bis nach Mailand. Das stärkt die Verbindungen ins Tessin und vom Tessin in die Restschweiz: SBB Cargo bietet an den verkehrsstarken Bedienpunkten im Tessin täglich bis zu drei Zustellungen und Abholungen im Wagenladungsverkehr an. Im kombinierten Binnenverkehr haben die Kunden durch spätere Abfahrt oder frühere Ankunft der Züge zwischen Basel/Dietikon und Cadenazzo/Lugano Vedeggio mehr Zeit, ihre Wagen zu beladen. Im Ganzzugsverkehr profitieren die Güterverkehrskunden von schnelleren Verbindungen zwischen dem Raum Genf und dem Tessin. Darüber hinaus sind ausreichend Terminal- und Umschlagskapazitäten in Norditalien die Voraussetzung, damit die Effizienz im Rhein-Alpen-Korridor gesteigert werden kann. 

Schiene weiterhin stärken 

Der Bund hat mit dem Gütertransportgesetz von 2016 die Rahmenbedingungen für den Güterverkehr auf der Schiene gestärkt. Das Netznutzungskonzept schafft die Voraussetzungen für verbindliche Trassen für den Güterverkehr und damit für verlässliche Angebote für die verladende Wirtschaft. Die bestehenden Planungsinstrumente bilden die Basis für eine zukünftige Kapazitätssteuerung, die auf Nachfragespitzen im Güter- und Personenverkehr ausgerichtet ist. So können Transportbedürfnisse im Personen- und im Güterverkehr intelligent gesteuert und kundenorientiert abgewickelt werden. Dank der gesicherten Trassen hat der Güterverkehr auf der Schiene mehr Kapazität, schnellere Verbindungen und höhere Zuverlässigkeit für die Verlader.

Die für 2021 geplante Trassenpreisreduktion für den Güterverkehr in der Schweiz steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene zusätzlich. Sie ist dank wesentlicher Kosteneinsparungen bei der Infrastruktur überhaupt erst möglich. Die Verkehre auf der Nord-Süd-Achse können davon profitieren: Durch einen Trassenpreisrabatt für lange Güterzüge wird der Anreiz geschaffen, die Kapazitäten auf der Schiene noch besser zu nutzen. Ab 2024 wird jedoch die Abgeltung im Transit für die Operateure wegfallen. Die Trassenpreisentlastung wiegt den Wegfall dieser Fördermassnahme jedoch nicht auf.

Damit die Neat ihre volle Produktivität entfalten kann, ist die Ertüchtigung der ausländischen Zulaufstrecken nötig. Bis dies realisiert ist, sind alle Beteiligten weiterhin gefordert. Eine optimale internationale Zusammenarbeit ist der Schlüssel zur besten Leistung für die Kunden.

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