Trockenreis und Flüssigseife fluten die Schiene

Besonders in Krisenzeiten muss die Landesversorgung optimal funktionieren. Mit der Corona-Pandemie ist der Bedarf für Lebensmittel, Hygieneartikel und Pakete schlagartig gestiegen. SBB Cargo legt für die betroffenen Kunden zusätzliche Transporte auf und etliche Nachtschichten ein.

Nachmittags um drei sind die Regale mit den Teigwaren leergefegt. Beim WC-Papier stehen die Kunden im Zweimeterabstand Schlange. Ebenso scheint das Unterfangen zwecklos, jetzt noch eine Nachfüllpackung mit Desinfektionsmittel ergattern zu wollen.

Wer dieser Tage die Filiale eines Detailhändlers aufsucht, muss sich nicht nur an maskierte Sicherheitsleute gewöhnen, die jeden Eintritt auf einem Tablet-Computer registrieren und bei einer bestimmten Personenanzahl die Schotten vorübergehend dicht machen. Ungewohnt sind auch die rauen Mengen an Grundnahrungsmitteln wie Zucker, Mehl oder auch Reis, Teigwaren, Konserven sowie Hygieneartikel, die sich über die Laufbänder an den Kassen wälzen. Da wird schon mal gehamstert, was nicht erstaunt. Es herrscht eine Pandemie und Ausnahmezustand. Möglichst selten das eigene Zuhause verlassen, so die Verordnung des Bundesrats. Automatisch erhöht sich in Folge das Volumen pro Einkauf. Zumal in Millionen Haushalten bis auf weiteres die ganze Familie sämtliche Mahlzeiten einnimmt.

Den Osterhasen bringt der Briefträger

Zahlreiche Detailhändler sind seit Ausbruch der Corona-Krise bei der Auffüllung ihrer Lager mit etlichen Konsumgütern des täglichen Bedarfs teils erheblich in Verzug geraten. Aus diesem Grund haben sie bei SBB Cargo kurzfristig um Zusatzkapazitäten gebeten. Die Gütertransportsparte der Bundesbahnen befördert für den gesamten Schweizer Handel jährlich ein durchschnittliches Produktvolumen von 1,9 Millionen Tonnen auf der Schiene. Zu den wichtigsten Kunden gehört die Migros, welche über ihren Knotenpunkt – die Verteilzentren in Suhr und Neuendorf – via Schienenanschluss die tägliche Versorgung sämtlicher Filialen in der Schweiz sicherstellt. «Als Konsequenz des Notstands kommen seit Beginn des Lockdowns an Sonntagen teilweise auch Extrazüge für die Migros ab Suhr zum Einsatz», sagt Andreas Willimann, Produktmanager bei SBB Cargo und Mitglied der Wirtschaftlichen Landesversorgung Abteilung Schienentransporte. Ein Zug geht nach Gossau in die Ostschweiz, der andere Richtung Romandie. «Dank kurzfristig erfolgter Wagenstellungen in Chiasso konnten wir LKWs aus Italien auf die Schiene in Richtung Suhr bringen. Das hat uns zusätzlich geholfen», ergänzt Rolf Ryser, Projektleiter Bahn-/Kombinierter Verkehr beim Migros-Genossenschafts-Bund.

Einen deutlich gesteigerten Bedarf infolge der Corona-Krise hat auch die Schweizerische Post angemeldet. «Derzeit werden fast alle Einkäufe über Onlineportale getätigt», so Willimann. SBB Cargo hat kurzfristig reagiert und einen zusätzlichen wöchentlichen Transportzug für die Post aufgelegt. Er verkehrt immer in der Nacht von Sonntag auf Montag auf der Achse Frauenfeld – Härkingen – Daillens (VD) und wieder zurück, vollbeladen mit Paketen.

«Massiv und ausser Plan wird unser Einsatz über die Osterfeiertage», kündigt Willmann an. In einer normalerweise für die Post ruhigeren Zeit, weil die meisten Leute ins verlängerte Ferienwochenende fahren, wird wegen der Auflagen des BAG in diesem Jahr «der Bär los sein». Nicht weniger als 21 zusätzliche Züge hat SBB Cargo kurzfristig organisiert, die schwerpunktmässig am Karfreitag, Ostersamstag und -montag hunderttausende Pakete durch die Schweiz transportieren.

Im Ernstfall: Medizinische Güter und Armeematerial «first»

Neben dem wichtigen Beitrag, den der Gütertransport auf der Schiene zum Warenfluss im Detailhandel leistet, trifft dies auch für die Mineralöl- und Getreidesparte zu. Pro Jahr befördert SBB Cargo 5,1 Millionen Tonnen mineralölhaltige Fertigprodukte wie Benzin, Diesel, Flugpetrol und Heizöl durch die Schweiz und damit fast die Hälfte des Gesamtbedarfs im Land. Ähnlich sieht es beim Getreide aus. 630’000 Tonnen beträgt das jährliche Transportvolumen von SBB Cargo, was gegen 40 Prozent des Schweizer Jahresverbrauchs von 1,5 Millionen Tonnen entspricht.

Von einer sich wegen der Corona-Pandemie zuspitzenden Problemsituation für die Landesversorgung könne im Moment zum Glück nicht gesprochen werden, hält Andreas Willimann fest. «Dieses Szenario würde erst drohen, wenn der Lockdown über Monate andauern und die umliegenden Staaten plötzlich alle Grenzen auch für den Güterverkehr dicht machen würden.» In einem solchen Fall müsste die Schweiz ihre Pflichtlager anzapfen, die etwa für Zucker, Speiseöle, Brotgetreide, Heferohstoffe oder Futtermittel und Dünger angelegt wurden.

«Soweit dürfte es nicht kommen», so die Überzeugung des Produkt Managers. Falls doch, müsste SBB Cargo eine behördlich festgelegte Prioritätenliste im Landesversorgungsauftrag einhalten. Erste Priorität: Medizinische Güter, Rohstoffe der Chemie, Versorgungsmaterial für die Armee, Lebensmittel inklusive Getreide, Futter- und Düngemittel, Mineralölprodukte und Brennstoffe sowie Brief- und Paketpost. Alle anderen Güter haben zweite Priorität.

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