Wenn nichts mehr geht, sind sie zur Stelle

Was geschieht, wenn eine Rangierlok plötzlich stillsteht? Und wer kümmert sich um einen geeigneten Ersatz? Antworten liefern ein Besuch im Maintenance Control Center von SBB Cargo und eine Tour mit dem «TCS für Loks».

Schmutzige Hände stören ihn nicht. Gian Sandro Rota hat schon an Autos und Motorrädern herumgeschraubt, als er 17 Jahre alt war. «Ich bin halt einfach ein ‹Mech›», sagt der 29-Jährige und lacht. Nach der Lehre als Zweiradmechaniker und einem Abstecher in den Verkauf arbeitet er seit acht Jahren bei der Bahn. Seit knapp vier Jahren ist er für die Mobile Equipe von SBB Cargo unterwegs, gewissermassen für den «TCS für Loks», wie er es nennt. Treffender könnte man die Hauptaufgabe der Mobilen Equipe nicht umschreiben: Bleiben eine Lok oder ein Güterwagen irgendwo stehen, rücken Gian Sandro Rota und seine Kollegen aus und reparieren das Fahrzeug – wenn möglich – an Ort und Stelle. So auch an diesem Nachmittag. Vom zuständigen Maintenance Control Center (MCC) hat der Mechaniker die Meldung erhalten, dass bei einer Am 843 ein Rechnermodul defekt ist. Ein bekanntes Problem, Gian Sandro Rota macht sich auf den Weg.

«Wikipedia» und Fachwissen

Doch der Reihe nach. Gleichentags am frühen Vormittag geht bei Stefan Nagel eine Störungsmeldung ein: Eine Diesellok, Typ Am 843, steht still. Stefan Nagel ist Mitarbeiter im MCC, dem Servicecenter für Störungsmanagement und Unterhaltsplanung von SBB Cargo in Olten (siehe Box). Er sitzt vor seinen acht Monitoren und zeigt die verschiedenen Tools, die er für seine Arbeit braucht: überall Zahlen, Abkürzungen und Tabellen – für Aussenstehende völlig unverständlich. «Es hat gute zwei Monate gedauert, bis ich die Übersicht über alles hatte», erklärt Stefan Nagel. Im Dezember 2019 hat der ehemalige Lokführer im MCC angefangen, mittlerweile ist er Ansprechpartner für sämtliche Fragen und Probleme mit Rangierloks. Zusätzlich verantwortet er schweizweit die Koordination von Rangierfahrzeugen.

Das Maintenance Control Center bietet einen 24/7-Service an. An fünf Tagen die Woche arbeitet das Team in jeweils drei Schichten, am Samstag und am Sonntag hat immer jemand Pikettdienst. Das ist insofern wichtig, als SBB Cargo ihren Kunden die Ware nur dann verbindlich und zeitnah zustellen kann, wenn die Verfügbarkeit der Flotte gewährleistet ist. Im MCC gehen täglich Dutzende von Störungsmeldungen per Telefon oder E-Mail ein, wobei die Probleme unterschiedlicher Natur sind. Mal ist es eine Funktionsstörung an den Bremsen, mal ein defekter Akku, mal ein leerer Öltank. «Wir versuchen immer zuerst, die Störung direkt mit dem jeweiligen Lokführer an der Front zu beheben», sagt Andreas Herbon, Leiter des MCC. Funktioniert das nicht, wird ein Kollege der Mobilen Equipe aufgeboten. Im Durchschnitt sind es acht Einsätze für Rangierloks pro Tag.

Eine umfangreiche Datenbank mit Bildern und Informationen zu allen Lok- und Wagentypen hilft den MCC-Mitarbeitern dabei, eine Störung gemeinsam mit dem Lokpersonal zu lokalisieren und zu beheben. Neben dieser «internen Wikipedia» – so die inoffizielle Bezeichnung – verfügen Andreas Herbon und seine Kollegen über viel Fachwissen: Alle haben eine technische Ausbildung gemacht oder waren selbst Lokführer. «Berufserfahrung und technisches Verständnis sind eine Voraussetzung für die Arbeit bei uns», betont der Leiter. Ebenso Sprachkenntnisse, denn das Servicecenter ist Anlaufstelle für Mitarbeitende, Kunden und Wagenmieter aus der ganzen Schweiz und aus Deutschland.

Schweiss und Freiheiten

Zurück zu Gian Sandro Rota von der Mobilen Equipe. Im Gegensatz zu den Kollegen aus dem MCC hat der Mechaniker «normale» Arbeitszeiten. Wirkliche Notfälle gebe es selten, erzählt er, während er im Materiallager im Rangierbahnhof Limmattal ein neues Rechnermodul holt. «Manchmal kommst du aber schon ins Schwitzen in diesem Job.» Er erinnert sich an eine Zugentgleisung, bei der er nach Feierabend noch zur Unfallstelle fuhr, um die Lok zu begutachten. Bei einer Entgleisung wird die Lok immer in eine Werkstatt überführt, in allen anderen Fällen ist es Gian Sandro Rotas Ziel, das Fahrzeug vor Ort zu reparieren. «Ich bin ein ehrgeiziger Typ, der Probleme lösen will.» Sagts und packt das Ersatzmodul in den Kofferraum seines Geschäftsautos – eine mobile Werkstatt mit vielerlei Schrauben, Werkzeugen und Flüssigkeiten.

Bei der Mobilen Equipe deckt Gian Sandro Rota die gesamte Ostschweiz ab. Er schätzt den Austausch und die Zusammenarbeit mit seinem Team und geniesst die Freiheiten, die mit seiner Tätigkeit verbunden sind. Inzwischen ist er bei der defekten Am 843 angekommen, seiner Lieblingslok übrigens. Bei diesem Modell könne er vieles selbst machen, erklärt er die Vorliebe und schraubt den Kasten auf, in dem sich das kaputte Rechnermodul befindet. Zwei, drei Handgriffe später ist das Modul ersetzt, Gian Sandro Rota schaltet die Lokomotive ein. Alles bestens. Der Mechaniker checkt Kilometerstand und Anzahl Betriebsstunden, trägt alles im Lokführerbuch ein und setzt schliesslich via Smartphone eine Meldung an das Maintenance Control Center ab. Dort wissen Stefan Nagel und seine Arbeitskollegen nun, dass das Fahrzeug wieder einsatzfähig ist.

Fotos: Gian Marco Castelberg

 

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