«Das Wachstum ist noch lange nicht ausgeschöpft»

Die Post hat letztes Jahr über 200 Millionen Pakete zugestellt. Und der Trend zeigt weiter nach oben. SBB Cargo ist Transportpartnerin des Gelben Riesen. Welche Erwartungen hat der Leiter Logistik-Services Johannes Cramer? Dies verrät er im Gespräch mit Désirée Baer, CEO von SBB Cargo.

Die Post und SBB Cargo haben ihre Partnerschaft um weitere vier Jahre verlängert. Weshalb?

Johannes Cramer: Die Logistik auf die Schiene zu bringen ist für uns von strategischer Bedeutung. Wir würden gerne noch mehr auslagern und haben viele gemeinsame Ziele.

Désirée Baer: Unsere Zusammenarbeit hat sich während Jahren bewährt. Sowohl die Post als auch SBB Cargo haben in der Öffentlichkeit ein gutes Image und stehen für hohe Zuverlässigkeit. Wir setzen alles daran, diesen Qualitätsansprüchen auch in Zukunft gerecht zu werden.

Im Rahmen der Vertragsverlängerung setzt SBB Cargo ein Innovationsprojekt der Post um. Worum geht es dabei genau?

Cramer: Wir planen einen Shuttle-Verkehr zwischen unseren Verteilzentren. So könnten wir auch bei spät aufgegebenen Paketen noch den Weg über die Schiene wählen. Die Ausgangslage ist gut, aber es gibt noch Hausaufgaben zu erledigen.

Welche sind das, Frau Baer?

Désirée Baer: Shuttle-Fahrzeuge sind heute noch nicht auf dem Markt verfügbar. Wir müssen diese Verkehre mit konventionellen Fahrzeugen umsetzen – das ist logistisch und preislich eine Herausforderung. Die Postverkehre werden teilweise in einem eigenen Netz abgewickelt. Dort können wir solche Neuerungen schneller umsetzen. Diese Erfahrungen werden wir dann nutzen, um vermehrt spezifische Lösungen für Grosskunden zu entwickeln – Lösungen, wie wir sie für die Post bereits anbieten oder entwickeln.

Der Schienengüterverkehr ist für uns ein strategisch wichtiger Pfeiler – wir würden gern noch mehr auslagern.
Johannes Cramer, Leiter Logistik-Services Schweizerische Post. 

Welche Erwartungen haben Sie an Ihr Gegenüber in den kommenden vier Jahren?

Cramer: Wir wollen ja beide mehr Güter auf der Schiene transportieren, und zwar schneller als heute. Damit wir das erreichen, gilt es, einige Weichen anders zu stellen. Dazu gehören Zeitmanagement und Schienenverfügbarkeit. Letzteres ist vor allem eine politische Frage.

Baer: Vier Jahre sind im politischen Prozess tatsächlich eher eine kurze Zeit. Die Digitalisierung bei SBB Infrastruktur wird es uns aber bis dahin ermöglichen, flexibler mit den Trassen umzugehen. Denn für massgeschneiderte Kundenlösungen braucht es flexible und schnelle Trassen. Da müssen wir mit der SBB einen guten Kompromiss zwischen Personen- und Güterverkehr finden.

Im Gegensatz zum Personenverkehr bleibt der Güterverkehr in der Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar – solange alles funktioniert. Ist die Logistik eine undankbare Aufgabe?

Cramer: Die Logistik sorgt im Getriebe des Wirtschaftsmotors für reibungslose Abläufe. Das Wissen, dazu einen relevanten Beitrag zu leisten, ist mir viel wichtiger als die öffentliche Sichtbarkeit.

Baer: Ich sehe das ähnlich. Welchen Stellenwert eine funktionierende Logistik einnimmt, hat die breite Bevölkerung während des Lockdowns ja am eigenen Leib erfahren. Uns ist vor allem wichtig, dass unsere Kunden zufrieden sind. Wir freuen uns über ihre Wertschätzung genauso wie über konstruktive Kritik. Das bringt uns voran.

Sowohl die Post als auch SBB Cargo sind als staatsnahe Betriebe an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden, agieren aber trotzdem auf dem freien Markt. Wo sehen Sie darin die grössten Herausforderungen?

Cramer: Gemeinden, Kantone und der Bund haben auf verschiedenen Ebenen Ansprüche an die Post, denen wir gerecht werden müssen. Die Post ist Teil der landesrelevanten Infrastruktur. Das macht mich stolz auf meine Arbeitgeberin.  Ja, wir dienen verschiedenen Anspruchsgruppen, aber ich empfinde das eher sogar als Vorteil.

Baer: Im Gegensatz zum Mutterkonzern hat SBB Cargo keine staatlichen Auflagen. Wir müssen marktorientiert, eigenwirtschaftlich und selbsttragend sein. Es gibt jedoch Erwartungen aus der Politik und unserer Kundschaft, die in die Richtung «Service public» gehen. Da gibt es eine Differenz zwischen der Erwartungshaltung und den Rahmenbedingungen.

Anreize für die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene fände ich auch im Binnengüterverkehr sinnvoll.
Désirée Baer, CEO SBB Cargo

Was, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern? So gibt es einen parlamentarischen Vorstoss, nur noch die B-Post im Grundauftrag zu belassen.

Cramer: Auch wenn die A-Post aus dem Grundversorgungsauftrag wegfallen sollte, würden wir wohl aus unternehmerischen Gründen trotzdem an ihr festhalten.

Wie stehen Sie zu staatlichen Anreizen zur Verlagerung im Binnengüterverkehr?

Baer: Die Verlagerungsziele gelten heute ja erst für den Transitgüterverkehr. Im Binnengüterverkehr gibt es bisher keine Ziele oder Anreize für die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene. Für eine klimafreundliche und energieeffiziente Schweizer Wirtschaft fände ich das aber sinnvoll. Zumal der Binnengüterverkehr umsatzmässig grösser ist als der Transitgüterverkehr. Dabei müssen wir darauf achten, dass der betriebswirtschaftliche Nutzen mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen übereinstimmt.

Der Onlinehandel hat während der Pandemie noch einmal kräftig zugelegt. Über 200 Millionen Pakete hat die Post im letzten Jahr verschickt. Hält dieser Wachstumstrend an?

Cramer: Ich denke, auch nach den Lockerungen der Massnahmen wird der Boom anhalten. Im internationalen Vergleich ist die Schweiz noch nicht besonders stark im Onlinehandel – da gibt es noch viel Wachstumspotenzial. Die Post investiert deshalb während der nächsten acht Jahre rund 1,5 Milliarden Franken in neue Infrastruktur wie Verteilzentren.

Wird es für die neuen Verteilzentren auch Schienenanschlüsse geben?

Cramer: Idealerweise hätten wir natürlich gerne Standorte für unsere Verteilzentren, die direkt am Schienennetz der SBB liegen. Wir durchlaufen aber trotz unserer Funktion als Staatsbetrieb mit gesetzlichem Auftrag für jedes Grundstück den regulären Such- und Bewilligungsprozess für neue Standorte. Auf diesem Weg sind grosse Grundstücke mit Schienenanschluss kaum noch verfügbar. Daher müssen wir häufiger, als wir das wollen, auf Schienenanschlüsse verzichten.

Baer: Durch die Dezentralisierung werden auch die Distanzen zwischen den neuen Verteilzentren geringer. Der Wettbewerbsvorteil des Schienengüterverkehrs liegt aber auf langen Distanzen. Wir erarbeiten gemeinsam mit der Post Lösungen, um möglichst viele Güter auf der Schiene zu halten und das Gütervolumen weiter zu erhöhen. So dass es für beide Seiten wirtschaftlich bleibt und die Erwartungen der Endkunden erfüllt werden.

Welchen Einfluss werden Automatisierung und Digitalisierung in den kommenden vier Jahren haben? Wird es bald autonom fahrende Güterzüge geben?

Baer: Wir investieren in den kommenden Jahren weiterhin viel in Automatisierung und Digitalisierung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der autonome Güterwagen liegt noch in weiter Ferne, lässt aber träumen: Mit selbstfahrenden Güterwagen würden sich auch kleine Mengen günstig verschicken lassen. Damit könnten wir auch dezentrale Verteilzentren auf geringen Distanzen miteinander verbinden.

Was bestellen Sie besonders häufig online?

Baer: Ich würde mich nicht als Online-Shopperin bezeichnen, das hat sich auch während der Pandemie nicht geändert. Bücher bestelle ich meistens online, wenn ich weiss, was ich will. Hin und wieder auch Kleider.

Cramer: Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich muss mir eher überlegen, was ich nicht online bestelle. Am ehesten Kleidung – die will ich doch lieber vor Ort anprobieren.

Fotos: Conrad von Schubert / Die Schweizerische Post

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