«Die Bahn kann 60 Prozent mehr Güter transportieren und die Strasse entlasten»

Mit «Suisse Cargo Logistics» will die SBB den Schienengüterverkehr weiterentwickeln. Wo liegen die Schwerpunkte? Was gibt es für Potenziale? Und was bedeutet dies für die Kunden? Wir haben Franz Steiger, Verwaltungsratspräsident von SBB Cargo und Finanzchef der SBB, und Désirée Baer, CEO von SBB Cargo, gefragt.

Franz Steiger, vor fünf Monaten haben Sie das Präsidium des Verwaltungsrats von SBB Cargo übernommen. Was sind Ihre Prioritäten?

Franz Steiger: Als Verwaltungsratspräsident besteht für mich zurzeit die oberste Priorität darin, dass das anspruchsvolle Tagesgeschäft gut bewältigt wird. Die Sicherheit verbessern, die Pünktlichkeit steigern, die Kosten reduzieren und die Kundenwünsche optimal erfüllen. Hierzu arbeite ich gerne und eng mit der Geschäftsleitung von SBB Cargo zusammen. Ich habe grosses Vertrauen in die Geschäftsleitung und in die Mitarbeitenden. Gleichzeitig sehen wir: Der Schienengüterverkehr als Ganzes muss weiterentwickelt werden – mit SBB Cargo im Zentrum, aber auch einer integrierten Bahn im Fokus. 

Sie sprechen «Suisse Cargo Logistics» an. Unter diesem Namen will die SBB den Güterverkehr weiterentwickeln, wie sie am 28.9. an einer Medienkonferenz erklärt hat (s. Box). Was steht hinter Suisse Cargo Logistics?

Franz Steiger, Verwaltungsratspräsident von SBB Cargo

Franz Steiger: Suisse Cargo Logistics baut auf den Stärken der Bahn auf und trägt neuen Markt- und Kundenbedürfnissen Rechnung. Der Schienengüterverkehr ist ökologisch und platzsparend. Gegenüber der Strasse haben wir weitere Vorteile wie den Transport über Nacht oder keine Staus. Der Transport von Gütern auf der Schiene ist also weitgehend CO2-neutral, er ist energie- und flächeneffizient. Laut Prognosen des Bundes wird der Gütertransport im grenzüberschreitenden Verkehr und im Inland bis 2050 um rund ein Viertel wachsen. Davon will Suisse Cargo Logistics profitieren, indem das bestehende Transportangebot ausgebaut wird und die bereits beschlossenen Ausbauten der Infrastruktur optimal genutzt werden. Die Bahn kann so bis 2050 rund 60 Prozent mehr Güter transportieren und die Strasse wirksam entlasten.

Désirée Baer: Der moderne Schienengüterverkehr braucht Geschwindigkeit und Flexibilität. Zusammen mit Bund und SBB müssen wir es schaffen, dass wir schneller fahren dürfen und können. Zudem müssen wir als Organisation flexibler werden. Das System Bahn in der Schweiz ist auf stabile Takte ausgerichtet – die Kunden dagegen wollen immer öfter rasche, flexible Lösungen. Auf diese neuen Kundenbedürfnisse müssen wir uns ausrichten. 

Neben Fortschritten bei Geschwindigkeit und Flexibilität braucht es auch Ausbauten bei der Infrastruktur. Was für Ausbauten sind nötig?

Franz Steiger: Es geht darum, die bestehende und künftige Bahninfrastruktur noch besser auszunutzen. Mit den beschlossenen Ausbauschritten 2025 und 2035 werden dem Güterverkehr zusätzliche und schnellere Trassen zur Verfügung stehen. Dies erlaubt es der Schiene, am Wachstum von Segmenten zu profitieren, wo der Marktanteil bisher noch gering war. Ermöglicht wird dies vor allem durch leistungsfähige Terminals für den kombinierten Verkehr, die den Zugang zur Bahn vereinfachen, die Umschlagszeiten verkürzen und eine optimale Kombination von Schiene und Strasse erlauben. Wir planen, fünf Terminals für den kombinierten Verkehr zwischen Genf und St. Gallen zu ergänzen.  Zusätzlich geht es darum, bestehende Anlagen an zentralen Standorten in sogenannte City Hubs für Bau- und Entsorgungslogistik umzubauen, um die Städte von Verkehr zu entlasten. Wir denken dabei an fünf bis acht Cityhubs.

Citylogistik und Cityhubs: Worum handelt es sich dabei genau und wie kann SBB Cargo diesen Trend nutzen?

Franz Steiger: Der Verkehr in den Innenstädten wird immer mehr zum Problem. Mit sogenannten Cityhubs wollen wir an zentralen Lagen in Städten Entsorgungsleistungen zum Beispiel für Baulogistik anbieten. Die Bahn ist prädestiniert für solche Transporte. So können die Städte viel Lastwagen-Verkehr einsparen. 

Désirée Baer, CEO von SBB Cargo

Désirée Baer: Wo andere über City Logistik erst sprechen, haben wir schon vielversprechende Erfahrungen gemacht. Ein Modell haben wir in Zürich geschaffen: Unweit des Prime Tower können Bauabfälle, Altglas und Papier abgekippt und auf die Bahn umgeschlagen werden. Neu gibt es dort auch eine Anlage für Recyclingbeton. Abbruchmaterialien aus der Stadt werden so direkt wiederverwertet. Den Hub für Recycling und Entsorgung haben Spross und SBB Cargo gemeinsam aufgegleist. Auf solchen Erfahrungen können wir aufbauen. Es ist ein Modell, das man auf andere Städte ausweiten kann. 

Ein wichtiger Pfeiler von Suisse Cargo Logistics ist der Wagenladungsverkehr – kurz: WLV. Dieser ist zurzeit in Medien und Politik sehr präsent. Wie sieht die Zukunft des WLV aus?

Désirée Baer: Der Wagenladungsverkehr ist das Rückgrat der Schienentransporte und soll es auch bleiben. In einer ersten Phase wollen wir den WLV stabilisieren – dafür braucht es die finanzielle Unterstützung des Bundes, weil der WLV nicht kostendeckend ist. Danach kommt Suisse Cargo Logistics ins Spiel. Wir wollen investieren, um auf guter Basis zu wachsen. Also: Zuerst stabilisieren, dann wachsen. 

Franz Steiger: 45 Prozent der Nettotonnen-Kilometer fahren wir zurzeit mit dem WLV. Wenn die Schweiz an ihren Verlagerungszielen festhalten will, wird es den WLV auch in Zukunft brauchen. Wie Désirée sagt: Zurzeit ist es unmöglich, den WLV kostendeckend zu betreiben. Das heisst, wir können ihn zurzeit nur weiter betreiben, wenn es dafür einen politischen Auftrag gibt mit entsprechenden Fördermitteln. Der Gesetzesentwurf des Bundes dazu wird diesen Herbst in die Vernehmlassung bei Kantonen, Parteien, Verbänden und weiteren Akteuren geschickt. In einer zweiten Phase müssen wir effizienter werden und die Produktivität im WLV klar steigern.

Kritiker wollen den WLV abschaffen. Weshalb ist der WLV für die Schweiz so wichtig?

Franz Steiger: Der WLV ist für unsere Kunden sehr bedeutend. Sie brauchen diesen Netzwerksverkehr. Aus zentralen Standorten heraus müssen sie ein weit gefächertes Netz in der Schweiz bedienen. Der WLV ist auch essenziell für die Landesversorgung. Mit dem WLV leistet SBB Cargo also einen wichtigen Beitrag an eine funktionierende Schweizer Wirtschaft.  

Désirée Baer: Wenn man den Trend im Markt analysiert, sieht man, dass wir immer weniger Industriegüter transportieren und dafür immer mehr kleinteilige Güter. Was bedeutet das? Kleine Güter wie Ersatzteile, Lebensmittel oder Ware, die man im Internet bestellt, müssen schnell ausgeliefert werden. Mit kleineren, flexiblen Mengen sind die Kunden auf den WLV angewiesen. Für die Zukunft heisst das: Wenn die Schweiz die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene vorantreiben will, braucht es diesen Bündelungsverkehr. 

Wir sprechen viel über Zukunft und Effizienz. Unbestritten ist, dass der Güterverkehr auf der Schiene grossen Aufholbedarf in Bezug auf Automation und Digitalisierung hat. An welchen Verbesserungen arbeitet SBB Cargo aktuell?

Désirée Baer: Aufgrund der tiefen Margen im Gütertransportgeschäft wurde in den vergangenen Jahrzehnten europaweit kaum in Automatisierung und Digitalisierung investiert. Nun können wir nicht länger zuwarten, ohne den Anschluss zu verlieren. Die Automatisierung haben wir im Netz des kombinierten Binnenverkehrs bereits umgesetzt und sind damit Pioniere in Europa. Dabei geht es primär um die digitale automatische Kupplung und die automatische Bremsprobe. Diese Automationselemente ermöglichen mehr Tempo, mehr Flexibilität und für die Mitarbeitenden mehr Sicherheit. Die umfassende Umsetzung erfordert jedoch eine substanzielle finanzielle Unterstützung der Politik – nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Auch bei der Digitalisierung der Kundenschnittstelle und der Planungs- und Dispositionsprozesse lösen wir aktuell die Altsysteme ab und digitalisieren den gesamten Prozess. 

Zum einen Investitionen in die Automation, zum anderen in den Ausbau. Wie finanziert die SBB diese Vorhaben?  

Franz Steiger: Wir rechnen mit Kosten von einer Milliarde Franken für Terminals und Cityhubs und rund 500 Millionen Franken für die Automatisierung des Fahrzeugparks bis 2040. Die Finanzierung der Anlagen erfolgt über die bestehenden Förderinstrumente des Bundes – Stichwort Ausbau 2025 und der Ausbau 2035 – und über Investitionen der SBB. Eine Mischfinanzierung soll es auch für Automation und Digitalisierung geben. Die SBB wird ihren Teil dazu beitragen. 

Wo werden die Cargo-Kunden konkret etwas von diesem Aufbruch bei SBB Cargo spüren?

Désirée Baer: Als erstes haben wir uns so aufgestellt, dass wir insbesondere in Störungsfällen und bei kurzfristigen Anfragen oder Änderungen kundenorientierter handeln. Dann sollen die Kunden den Mehrwert unserer Digitalisierungsvorhaben erhalten. Und sie sollen spüren, dass wir in innovative, kreative Lösungen investieren. «One size fits all» ist vorbei. Ein Beispiel: Gerade haben wir ein innovatives Pilotprojekt mit der Schweizerischen Post realisiert. Dabei haben wir einen Pendelzug kreiert, mit Lokomotiven an beiden Enden. Damit können wir den Logistikprozess beschleunigen, mehr Mengen von der Strasse auf die Schiene verlagern und damit CO2 und Energie einsparen. 

Mengen weg von der Strasse – das ist auch das Ziel des unterirdischen Projekts «Cargo sous terrain». Die SBB hat nun mitgeteilt, dass SBB Cargo die Minderheitsbeteiligung von 1,7 Prozent an «Cargo sous terrain» abgibt. Wieso?

Franz Steiger: Mit Suisse Cargo Logistics fokussieren wir uns auf die Stärken der Bahn. Unsere Wachstumspläne brauchen unsere volle Aufmerksamkeit und all unsere Kräfte. Wenn uns Bund und Steuerzahler ein funktionierendes Netz zur Verfügung stellen, ist es unsere Pflicht, dieses Netz optimal zu betreiben. Und wie gesagt, das Potenzial ist gross: Mit Suisse Cargo Logistics kann die Bahn bis 2050 rund 60 Prozent mehr Güter transportieren. 

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