«Jeder Unfall ist einer zu viel»

Sicherheit ist wichtiger denn je – das haben die beiden schweren Unfälle 2022 gezeigt. Seit September 2022 ist Annica Deller (36) Leiterin Sicherheits- & Risikomanagement bei SBB Cargo. Wo liegt ihr Fokus? Wie kann SBB Cargo noch sicherer werden? Und welche Tipps gibt sie für die Freizeit?

Annica, was ist dir in den ersten Monaten als Leiterin Sicherheit speziell aufgefallen?
Ich bin ja schon seit 2018 bei SBB Cargo. Mir fällt vor allem auf, dass das Verständnis für Sicherheit über die letzten Jahre sowohl bei den Führungskräften als auch bei den Mitarbeitenden grösser geworden ist. Sicherheit ist heute sehr präsent, man spricht darüber und tut vieles aktiv in den Teams.

Deine Wahrnehmung steht in einem gewissen Widerspruch zu den beiden tragischen Unfällen 2022 am Rangierbahnhof Limmattal und in Brig, in Brig starb ein Mitarbeiter…
Diese schlimmen Unfälle haben zusätzlich wachgerüttelt. Wenn ein Kollege schwer verunfallt, geht das den Mitarbeitenden durch Mark und Bein. Die Unfälle haben uns gezeigt, dass wir bei der Sicherheit noch konsequenter, noch besser werden müssen! Wir operieren in einem Umfeld mit hohen Risiken. Umso wichtiger ist es, dass die Sicherheit immer an erster Stelle steht.

Annica Deller, Leiterin Sicherheits- & Risikomanagement bei SBB Cargo

Welche Sicherheits-Massnahmen gibt es im 2023?
Zum einen wird es spezifische Massnahmen geben, die aus der Ereignisanalyse zum tödlichen Unfall stammen. Zum anderen haben wir für 2023 in der Abteilung Sicherheit, Qualität, Umwelt (SQU) den Fokus für Audit & Kontrolle sowie die Präsenz in der Fläche im Rahmen des SQU-Programmes verstärkt. Es besteht ein direkter Bezug zu den Sicherheitsprogrammen von Produktion und Asset Management – damit wir ganzheitlich unterwegs sind.

Was heisst das konkret?
Wir erheben bei SBB Cargo viele Zahlen, Daten und Statistiken zur Sicherheit. Diese wollen wir noch viel besser verbinden und analysieren. Damit können wir Lücken erkennen und diese Lücken mit geeigneten Massnahmen schliessen. Hier liegt viel Potenzial, um die Sicherheit weiter zu verbessern. Wir von SQU werden auch diverse Projekte eng begleiten.

Wie steht es um die Sensibilisierung der Mitarbeitenden?
Bei SBB Cargo arbeiten wir unter dem Titel «Initiative Sicherheit». Dazu gehört «Sicherheit leben», zum Beispiel mit einem monatlichen aktuellen Lern-Video. Weiter gibt es in diesem Rahmen eine Sicherheitsschulung, die wir zusammen mit DuPont entwickelt haben. Dieses Jahr werden wir zudem die «No Risk»-Kampagne der SBB aufnehmen. Es wird eine Mischung geben aus prägnanten E-Learnings und Materialien für die Teamleitenden, damit diese mit ihren Teams die entscheidenden Themen behandeln können. All diese Massnahmen werden die Mitarbeitenden weiter sensibilisieren.

Zur Sicherheit gehört eine starke Sicherheits-Kultur. Wo stehen wir diesbezüglich bei SBB Cargo?
Eine einheitliche Sicherheits-Kultur zu leben, ist bei SBB Cargo nicht einfach, weil wir so viele Standorte quer durch die Schweiz besitzen. Was mir auffällt: Es besteht immer noch eine gewisse Hemmschwelle, um eine Unregelmässigkeit oder ein Beinahe-Ereignis anzusprechen und zu melden. Deshalb müssen wir den Mitarbeitenden ein Umfeld bieten, in dem Vertrauen und eine offene Kultur bestehen. Das ist ein Prozess. Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen diese Anstrengungen gemeinsam weiter forcieren.

Du hast lange für Nespresso gearbeitet. Was kann SBB Cargo von Nestlé oder Nespresso in Bezug auf die Sicherheit lernen?
Es ist genau dieser Mindset: Wenn mir als Mitarbeiterin etwas passiert, soll und will ich es melden – und ich weiss, dass ich dafür nicht büssen muss. So können wir gemeinsam kontinuierlich von Ereignissen und Beinahe-Ereignissen lernen und in Zukunft solche vermeiden.

Neben den Berufsunfällen sind auch die Nicht-Berufsunfälle entscheidend für die Gesundheit. Wo lauern die gefährlichsten Fallen zuhause?
Am Arbeitsplatz gibt es klare Anweisungen. Zuhause haben wir diese nicht, es gibt keine Vorschriften – das sind die grössten Fallen. Wir stehen rasch mal auf einen Stuhl, um etwas aus dem Schrank zu holen. Oder wir benutzen gefährliche Werkzeuge ohne speziellen Schutz. Wir müssen versuchen, das Sicherheitsbewusstsein von der Arbeit mit nach Hause zu nehmen!

Welche Tipps kannst du uns für die Freizeit geben?
Nehmen wir Sport: Man sollte sich aufwärmen und gutes Material tragen, zum Beispiel immer einen Helm beim Velo- und Skifahren. Jetzt ist ja gerade Skisaison: Wer beim Après-Ski Alkohol trinkt, sollte nicht mehr die Piste runterfahren und sicher nicht das Auto nehmen. Eigentlich wissen wir das alle – und trotzdem… Mit einem unsicheren Verhalten gefährdet man nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen.

Zurück zu SBB Cargo: Hast du eine Sicherheits-Vision für SBB Cargo?
Ich bin keine Anhängerin von grossen Visionen. Viel entscheidender ist die konkrete und konsequente Umsetzung im Alltag. Dafür haben wir bei SBB Cargo ein sehr gutes Sicherheits-Leitbild: «Bewusst sicher: Innehalten, Analysieren, Umsetzen». Wenn wir uns im Alltag daran halten, sind wir sicher unterwegs. Meine tiefe Überzeugung ist: Jeder Unfall ist einer zu viel!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert