«Ich bin Beraterin, nicht Polizistin»

Wie packt es eine regionale Sicherheitsbeauftragte an, damit die Mitarbeitenden von SBB Cargo gesund und sicher arbeiten? Wir haben Claudia Schneider beim Audit in Hüntwangen-Wil begleitet.

«Arbeitet bitte ganz normal. Es gibt keinen Grund, nervös zu werden.» Claudia Schneider (55) – offizielle Bezeichnung: Partnerin / Beraterin für Sicherheit, Qualität, Umwelt Region Ost – blickt Lokführer Enver Veseli und Rangierleiter Mohamed Benaaid an. Daneben steht Teamleiter Hans Gerber. Er wird Claudia Schneider beim Audit unterstützen. Es ist ein kühler Frühlingsmorgen in Hüntwangen-Wil im Kanton Zürich, nahe der deutschen Grenze. Hier produziert SBB Cargo täglich zwischen vier und neun Züge à 16 bis 20 Wagen. Es geht um Kiesabbau – die Kunden sind Holcim und Hastag. Und schon geht es los: Enver Veseli klettert auf seine Diesellok Am 843, Claudia Schneider folgt ihm. Hans Gerber begleitet Mohamed Benaaid. 

Für Claudia Schneider ist dies ein Audit von rund 30, die sie jedes Jahr durchführt. Seit 16 Jahren in dieser Funktion. Zuvor arbeitete sie bereits 21 Jahre im Dienst der SBB – unter anderem als Teamleiterin in Hüntwangen und Dietikon. «Inzwischen bin ich hier als ‘Sicherheitstante’ bekannt», schmunzelt sie. «Doch sie nehmen mich sehr ernst. Sie spüren sofort, dass ich ihre Arbeit genau kenne.» Mittlerweile steht sie in der fahrenden Lokomotive, einen Zettel vor sich, und notiert fleissig.

Risiko Kieselsteine
Wir fahren ins Anschlussgleis von Holcim. 16 leere Wagen stehen hier, wir holen sie, um sie für die Weiterfahrt nach St. Margrethen vorzubereiten. Dort werden sie mit Aushub beladen, der wiederum die Kiesgruben in Hüntwangen auffüllen wird. Zuerst aber hält die Rangierlokomotive. Enver Veseli und Claudia Schneider steigen ab, er kuppelt die Lok an die Wagen an. «Jetzt führe ich die Prüfung Wagen Ladung durch», kündigt er an. Langsam schreiten die beiden den Zug ab. Zusammen inspizieren sie Leitungen und Verschlüsse. Sie fachsimpeln über Zugnummern und Lasten. Beide säubern die Wagen permanent von Kieselsteinen, die auf den Rändern liegen. «Ein solcher Stein kann in einer Kurve wegspicken und im schlimmsten Fall jemanden verletzen», erklärt Claudia Schneider. 

Nach einer gründlichen Tour rund um den Zug geht es weiter. Diesmal mit den Wagen im Schlepptau. Sie werden in ein Nebengleis des Bahnhofs Hüntwangen-Wil rangiert. Während der Fahrt ist Enver Veseli über das Gerät LISA in Kontakt mit seinem Rangierleiter Mohamed Benaaid, er nimmt seine Fahranweisungen entgegen und führt sie aus. Claudia Schneider schaut prüfend auf den Lokführer – und notiert einiges. 

«Lasst euch nie ablenken!» 
Nach einem weiteren Manöver kehren wir zurück ins Personalzimmer. Zeit fürs Debriefing. Rund um den Tisch haben sich auch Hans Gerber und Mohamed Benaaid eingefunden. Claudia Schneider wendet sich an Enver Veseli: «Dein vorsichtiger Fahrstil hat mir sehr gefallen. Du hast permanent geschaut, wo Hans und Mohamed sind. Das ist zentral für die Sicherheit.» Zudem habe er die Prüfung Wagen Ladung perfekt durchgeführt. «Herzlichen Dank für deine gewissenhafte Arbeit!», schliesst sie. Nun übernimmt Teamleiter Hans Gerber. «Du hast eine sehr saubere Bremsprobe gemacht», lobt er Mohamed Benaaid. «Beim Rangieren hast du stets auf die Sicherheit geachtet.» Als Beispiele nennt er Hemmschuh und Handbremse. «Zudem hast du immer sauber quittiert. Eine klare Kommunikation ist die Basis für sicheres Arbeiten.» 

Alles gut also? «Heute ja», nickt Claudia Schneider. Dann blickt sie in die Runde. «Macht weiter so – und lasst euch nie ablenken!» Ablenkung sei das Sicherheits-Risiko Nummer eins. Sofort entspinnt sich eine Diskussion um das Thema Ablenkung. Man ist sich einig: Selbst wenn der Chef anruft, nimmt man den Anruf nie entgegen, wenn man am Fahren ist. Man ruft später zurück. Auch das «Abkürzen» der Vorschriften wird zum Thema – laut Claudia Schneider das zweite Hochrisiko. «Bitte verhaltet euch immer korrekt. Ihr seid Vorbilder für die Jungen!», appelliert sie an die Kollegen. 

Der Ton ist entscheidend
Der Morgen neigt sich dem Ende zu – das Audit auch. Zwei letzte Fragen. Die erste: Bleibt ihr Ton auch konstruktiv, wenn nicht alles zum Besten steht? Claudia Schneider überlegt. «Die Tonalität des Feedbacks ist entscheidend», unterstreicht sie. «Ich bin Beraterin, nicht Polizistin. Auch Kritik versuche ich positiv zu formulieren. Das ist viel wirkungsvoller für eine nachhaltige Sicherheitskultur.» 

Die zweite Frage: Was, wenn sie bei einem Audit etwas Gefährliches beobachtet? «Unsichere Handlungen sprechen wir an und unsichere Zustände melden wir sofort, damit sie behoben werden können.» Wenn dagegen ein Mitarbeiter ein grosses Risiko eingehe, gebe es nur eins: «Stopp! Wir unterbrechen die Arbeit. Dann diskutieren wir mit dem Teamleiter, wie es weitergeht.» Claudia Schneider blickt ernst in den grauen Himmel – und man glaubt ihr, wenn sie sagt: «Ich kann auch mal böse werden.» Dann lächelt sie: «Aber heute in Hüntwangen – das haben die Kollegen wirklich vorbildlich gemacht!»

Die Partner:innen für Sicherheit, Qualität, Umwelt (SQU) sind in allen Regionen von SBB Cargo vertreten. Sie unterstützen die Regionenleiter und Teamleitenden vornehmlich im Bereich Arbeitssicherheit und Ereignisanalysen. 

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