Kommendes Wochenende ist es soweit: Am 13. Dezember wird der Ceneri-Basistunnel offiziell in Betrieb genommen. Désirée Baer (DB), CEO SBB Cargo, und Sven Flore (SF), CEO SBB Cargo International, sprechen über die neue Chance für den Güterverkehr. Das Interview fand schriftlich statt.
Wenn Sie an die fahrplanmässige Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels (CBT) denken: Welche zwei Stichworte kommen Ihnen als erste in den Sinn?
SF: Alternativen. Die Schweiz ist fertig.
DB: Effizienzgewinn. CO2-Einsparung.
Das sind vier unterschiedliche Begriffe. Können Sie Ihre Gedanken ausführen?
SF: Auf der Nord-Süd-Achse gibt es viele Streckenabschnitte, die keine Ausweichmöglichkeiten anbieten. In der Schweiz hingegen verfügen wir nun mit Basel-Lötschberg-Domo, Basel-Gotthard-Luino und Basel-Gotthard-Ceneri-Chiasso über drei Schlupflöcher durch die Alpen, die wir nutzen können, sollten Störungen im Güterverkehr auftreten. Bis anhin konnten wir mit einem Zug Standardprofil 400 nur durch den Lötschberg nach Mailand fahren, bei Störungen gab es als «Alternative» nur via Brenner in Österreich. Mit dem Ceneri bieten wir den Kunden nun die Lösung durch die Schweizer Alpen.
Es ist doch einmalig, dass hier so ein gigantisches Bauwerk ohne Verzögerung und im Rahmen des erwarteten Kostenhorizonts entstanden ist.
DB: Mit Effizienzgewinn meine ich, dass Mehrkapazitäten und eine schnellere Zugfolge für den Güterverkehr einen Quantensprung gegenüber der Strasse bedeuten. Dank dem Ceneri wird die Bahn wettbewerbsfähiger, Nord-Süd rücken zusammen und geben dem alpenquerenden Transport auf der Schiene mehr Schub.
Und die Schweiz hat die Möglichkeit geschaffen, dass ab Ende 2022 täglich mehr als 3000 Sattelauflieger von Basel nach Chiasso auf der Bahn transportiert werden könnten. Mit jedem transportierten Sattelauflieger realisiert SBB Cargo Einsparungen von rund 0,3 Tonnen CO2 oder 60 000 mit CO2 gefüllte Luftballons und stösst 11x weniger Klimagase aus. Dann wären das täglich bei voller Auslastung 890 Tonnen CO2.
Der Ceneri-Basistunnel verkürzt die Strecke zwischen Basel-Chiasso und zurück um jeweils rund 15 Minuten. Wie beurteilen Sie diese Effizienzsteigerung?
SF: Im Güterverkehr wird immer über die Kosten gesprochen. In der Logistik muss alles möglichst «preiswert» sein, wenn es um Qualitätsvereinbarungen geht – zum Beispiel den Einbau von Reserven bei Lokführern, Ersatztriebfahrzeuge usw. Kommt es dann zum Schwur, zählt leider häufig nur noch billig. Also hilft dem Schienenverkehr jede Art von Effizienzsteigerung, um den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu bringen. Die einzige Chance für uns, den Strassengüterverkehr zu überholen, ist die Effizienzsteigerung beim Warentransport mit der Bahn.
DB: Genau. Relevant scheinen mir produktivere Transporte auf der Schiene mit längeren und schwereren Zügen, ganz im Sinne unserer Schweizer Verlagerungspolitik. Die Bedürfnisse der Kunden steigen, sie sind sensibel in Bezug auf Preis und Zustellverbindlichkeit. Nun steht auf dieser Strecke die Infrastruktur, um effizienter zu transportieren, unsere Angebote flexibler zu produzieren und schneller auf die Kundenbedürfnisse zu reagieren.
Dank der ausgebauten Nord-Süd-Achse hat sich die Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Transporte auf der Schiene verschoben. Und dank der verbesserten Rahmenbedingungen können wir effizienter produzieren.
Désirée Baer
Was braucht es, um heute einen kundenorientierten Gütertransport zu betreiben?
SF: Kundenorientierter Gütertransport muss mit der Zeit gehen, kurzum: zuverlässig, flexibel, schnell, kostengünstig. Zudem müssen wir auf sich ändernde Kundenanfragen und Verkehrslagen sowie Störungen im Schienennetz sofort reagieren und jeweils proaktiv die richtigen Lösungen anbieten. Der Kunde braucht jederzeit online zuverlässige Prognosen, wann seine Ware am Zielort eintrifft und wo sie sich zu jedem Zeitpunkt des Transports befindet. Dazu bedarf es ausgeklügelter IT-Systeme, welche die zahlreichen Informationen der verschiedenen Netzbetreiber, des Betriebs und teilweise sogar Wetterlagen intelligent verknüpfen, um dieses Bedürfnis dauerhaft zu befriedigen. Die Logistik erwartet das heute von uns.
DB: Das A und O sind innovative Konzepte, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Kunden, die sich mit gegebenen Rahmenbedingungen vereinbaren lassen. Der Kunde verlangt Zuverlässigkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit, und das zu einem möglichst tiefen Preis. Gerade Flexibilität und Preis ist für die Bahn eine grosse Herausforderung, die uns in den nächsten Jahren stark fordern wird. Dies können wir nur mit Digitalisierung und Automatisierung erreichen, wo der Schienengüterverkehr grosse Rückstände aufzuholen hat.
Wie gross war das Verlangen nach dem Ceneri-Basistunnel aus Sicht der EVU und der Kunden?
SF: Die Alpeninitiative hat sich bereits vor 30 Jahren für das Thema eingesetzt und 1992 auch die Schweizer Bevölkerung für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zum Schutz der Alpen sensibilisiert. Bei der Überquerung der Alpen auf der Strasse stiess der Lastwagenverkehr an seine Kapazitätsgrenzen und machte ein Umdenken in der Politik und bei den Kunden zugunsten der Bahn möglich. Von der Inbetriebnahme des CBT profitiert der Schienengüterverkehr heute von der Nordsee bis nach Italien. Von den besseren Rahmenbedingungen profitiert auch das Klima durch die Reduktion des CO2-Ausstosses.
Kundenorientierter Gütertransport muss zuverlässig, flexibel und kostengünstig sein. Wir müssen auf sich ändernde Kundenanfragen und Verkehrslagen sowie Störungen im Schienennetz sofort reagieren und jeweils proaktiv die richtigen Lösungen anbieten.
Sven Flore
Wird dank des CBT und des 4-Meter-Korridors über die Gotthard-Achse die Bahn konkurrenzfähiger zur Strasse?
DB: Dank der Achse hat sich auch die Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Transporte auf der Schiene verbessert. Und dank der verbesserten Rahmenbedingungen können wir effizienter produzieren. Mit der Zustellung über Nacht gewinnen wir Kunden.
SF: Es ist super, dass P400 endlich auch durch die Schweiz zum Standard-Format geworden ist. Für den Kunden sind die zusätzlichen 14 Zentimeter Ladehöhe essenziell. Jetzt ist Schluss mit klein-profiligen P386-Sondertrailern nur für den Gotthardverkehr. Das ist eine Erleichterung, die beim Kunden gut ankommt.
Die Flachbahn ist genau genommen mit 17 Promille keine Flachbahn. Sehen Sie den Mehraufwand an Traktionsmitteln als Hürde und wie ist damit umzugehen?
DB: Ausgehend von ursprünglich 26 Promille sind 17 Promille bereits eine wesentliche Verbesserung für den Rollmaterialeinsatz und die Transportgeschwindigkeit. Bei 2150 Tonnen in Fahrrichtung Nord-Süd braucht es weiterhin zwei Loks ab Bellinzona und umgekehrt sind für 1650 Tonnen Gewicht ab Chiasso nordwärts ebenfalls zwei Loks nötig. Deshalb stimmt die landläufige Formulierung der Flachbahn durch die Alpen nicht ganz.
SF: Da hat Désirée Recht, nur für die eine Steigung braucht es nun auf dem kurzen Abschnitt Chiasso – Bellinzona noch eine Vorspannlok. Das muss für den Sektor maximal effizient gestaltet werden, mir schwebt da ein zentraler Vorspannservice für den gesamten Sektor vor, um minimalen Infrastrukturverbrauch sicherzustellen. Ansonsten benötigt jedes EVU seine eigenen Loks, Abstellgleise und Trassen für die Rückführung nach Chiasso.
Der Blick in die Zukunft: Was braucht der Güterverkehr in den nächsten zehn Jahren, um die Wettbewerbsfähigkeit weiter zu steigern?
SF: In der Schweiz ist alles bestens, hier muss man nichts mehr machen. Aber in Deutschland brauchen wir unbedingt zusätzliche Kapazitäten durch die ausgebaute Rheintalstrecke. Die Voraussetzung dafür ist, dass Güterzüge in der Schweiz mit der Gesamtlänge von 740m durchgängig von Terminal zu Terminal fahren können. Das geht ja zurzeit nicht. Und in Italien brauchen wir insbesondere südlich von Chiasso neue Hochleistungsterminals.
DB: Einfachere Buchungs- und Bestellprozesse, die den Kunden den Zugang zur Bahn erleichtern und mehr Flexibilität bei der Planung der Transporte auf der Schiene ermöglichen, damit kurzfristig Trassen gebucht und Güter auf der Bahn transportiert werden können. Digitalisierung der Prozesse und Automatisierung der manuellen Tätigkeiten müssen das Angebot schneller und kostengünstiger machen.
Text: Brigitte Hager, SBB Cargo / Muriel Mercier, SBB Cargo International