SBB Cargo hat in der Coronakrise flexibel reagiert, sollte jedoch diese Fähigkeit auch in den Alltag mitnehmen. Der neue Verwaltungsratspräsident Eric Grob und Désirée Baer, seit März 2020 CEO von SBB Cargo, reden über die Ziele der neuen Führung, den Partner Swiss Combi und über die Gemeinsamkeiten von Golf und Güterwagen.
Herr Grob, Sie haben das Verwaltungsratspräsidium bei SBB Cargo in stürmischen Zeiten übernommen. Wie ist das Unternehmen aufgestellt, um die Wirtschaftskrise zu meistern, die Corona verursacht?
Eric Grob: Alle Transportunternehmen wurden von der Coronakrise hart getroffen, so viel steht fest. In der Krise hat SBB Cargo jedoch bewiesen, dass sie sehr flexibel auf Kundenbedürfnisse eingehen kann. Dies zeigte sich z.B. mit der raschen Bereitstellung von zusätzlichen Kapazitäten für die dringend notwendige Landesversorgung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe ich als sehr motiviert und offen für Anpassungen wahrgenommen, und dies ist eine gute Voraussetzung, um mit dieser Krise umzugehen. Ich denke, dass wir in Zukunft weiter auf diesem Weg voranschreiten sollten. Eine Lehre aus der Krise ist bestimmt, dass wir Dinge manchmal ändern können, die davor als nicht veränderbar galten.
Frau Baer, Sie sind seit Anfang März CEO von SBB Cargo. Sie haben sich Ihren Einstand wohl anders vorgestellt?
Désirée Baer: Sicherlich. Ich konnte sehr viele Kolleginnen und Kollegen noch nicht persönlich kennenlernen. Aber wie Eric Grob sagt, hat die Krise auch ihr Gutes: So konnten wir die Wichtigkeit des Schienengüterverkehrs für die Landesversorgung mit Lebensmitteln und Wirtschaftsgütern zeigen. Dies war ein wichtiges Signal für die Politik, aber auch innerhalb des SBB Konzerns. Unsere Kunden sagen uns ja immer wieder, dass wir nicht flexibel seien. Nun durften wir von unseren Kunden Komplimente und Dankeschöns entgegennehmen für unsere Flexibilität. Wir müssen alles daransetzen, um diese Fähigkeit in den Alltag nach Corona mitzunehmen.
Grob: Wir befinden uns grundsätzlich in Konkurrenz zum Lastwagenverkehr, und der ist von sich aus deutlich flexibler. Deshalb sind erhöhte Geschwindigkeit und Flexibilität eine wichtige Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg von SBB Cargo.
Konnte SBB Cargo unter dem Strich in den Monaten des Lockdown weniger Volumen transportieren als im Vergleich zum Vorjahr?
Baer: Ja, deutlich weniger. Es gab zwar mehr Transporte von Lebensmitteln; sie konnten die Ausfälle bei den Industriegütern jedoch nicht ausgleichen. Das kann sich aber schnell wieder ändern.
Die SBB ist zwar nach wie vor mit zwei Personen im Verwaltungsrat von SBB Cargo vertreten, doch zum ersten Mal wird mit Ihnen, Herr Grob, das VR-Präsidium durch einen unabhängigen Vertreter ausgeübt. Was bringt dies den Kunden?
Grob: Meine Aufgabe und die der zwei anderen neuen Verwaltungsräte von Swiss Combi ist es, verstärkt die Sicht der Kunden sowie zusätzliches Logistik- und Transport-Know-how einzubringen, um die Zielvorgabe der Eigenwirtschaftlichkeit von SBB Cargo zu erreichen. Die Frage also, was Kunden erwarten und welche neuen Angebots-, Preis- und Servicemodelle sie gerne haben möchten. Das relativ starre Netz im Wagenladungsverkehr ist eventuell nicht in jeder Situation das geeignete Angebot, um die Kundenbedürfnisse zu befriedigen.
Sie haben vorhin die Bedeutung der Flexibilität in der Logistik betont, Frau Baer. Was heisst das für den Wagenladungsverkehr? Wird es in Zukunft noch Bedienpunkte geben?
Baer: Ja, in der Coronakrise ist der Wagenladungsverkehr nur wenig zurückgegangen. Die Bedienpunkte müssen wir aber der Nachfrage der Kunden anpassen. Das ist etwas, das wir kontinuierlich machen müssen in Absprache mit den Kunden und Kantonen.
In der Coronakrise konnten wir zeigen, wie wichtig die Bahn für die Landesversorgung ist.
Désirée Baer, CEO von SBB Cargo
Grob: Es geht um die Frage, wie viele starre Strukturen, also Bedienpunkte, und wie viele flexible Strukturen es braucht, um die Waren zu den Kunden zu bringen. Genau solche strategischen Fragen müssen wir kritisch diskutieren.
Der Bahntransport ist ja deutlich ökologischer als der Strassentransport. Wie wollen Sie diesen Vorteil noch besser nutzen?
Grob: Der Bahntransport verursacht rund siebenmal weniger CO2 als der Transport auf der Strasse. Auch redet man ja oft von der Verlagerung im alpenquerenden Nord-Süd-Verkehr, aber kaum von der Verlagerung des Binnenverkehrs auf die Schiene. Umwelt- und Klimaschutz sind langfristige Trends, und ihre Bedeutung wird in den nächsten 20 bis 30 Jahren noch deutlich zunehmen. In diesem Bereich hat die Bahn einen klaren Vorteil, und sie sollte diesen Vorzug in Zukunft auch stärker betonen. Erfreulicherweise gibt es auch erste Kunden, welche unter anderem deswegen von der Strasse auf die Bahn umsteigen – beispielsweise der Paketdienstleister DPD, der seine Logistik angepasst hat.
Die Beteiligung der vier Logistikfirmen Planzer, Camion Transport, Bertschi und Galliker an SBB Cargo zu 35 Prozent wurde inzwischen von der Wettbewerbskommission genehmigt. Bringen diese Firmen SBB Cargo mehr Aufträge?
Baer: Die vier Unternehmen haben uns ja schon vorher Aufträge gegeben. Wo es für sie sinnvoll ist, werden sie es auch weiterhin tun. Aber sie wollen dies natürlich selbst entscheiden. Wir können aber prüfen, ob wir gemeinsam mit unseren Partnern in Zukunft neue Logistiklösungen anbieten können, damit unsere Kunden von umfassenderen Logistiklösungen profitieren. Es geht also mehr um das Know-how zu Logistik und Transportketten, das die vier Logistikfirmen einbringen.
Haben andere Firmen, die nicht zu Swiss Combi gehören, keinen Nachteil, wenn sie künftig bei SBB Cargo Transportleistungen buchen?
Grob: Nein, absolut nicht. Sie können vielmehr vom besseren Know-how profitieren, das SBB Cargo dank der neuen Logistikpartner bekommt. Die Preise sind abhängig vom Volumen und vom gewünschten Service-Level und sind gesetzlich vom Preisüberwacher kontrolliert. Daher spielt es bei den Preisen absolut keine Rolle, ob ein Unternehmen an SBB Cargo beteiligt ist oder nicht.
Sie haben SBB Cargo zwischen 2008 und 2016 als Partner beim Beratungsunternehmen McKinsey beraten. Ging es dabei vor allem um Restrukturierungen?
Grob: Mehrheitlich ging es nicht um Restrukturierungen. Wir betreuten zum Beispiel vor 10 Jahren die Ausgründung von SBB Cargo International, der Tochterfirma der Güterbahn fürs internationale Nord-Süd-Geschäft. Wir befassten uns stark mit strategischen Fragen und damit, wie diese neue Firma am Markt auszurichten ist, damit sie eigenwirtschaftlich im Markt bestehen kann. Mit dem externen Partner (Hupac), der sich mit 25 Prozent an der Firma beteiligte, konnte zusätzliche Marktexpertise ins Boot geholt werden, so wie das jetzt bei SBB Cargo geschah. Mittlerweile ist SBB Cargo International im Markt erfolgreich und konnte ihr Volumen steigern – Ähnliches hoffen wir jetzt bei SBB Cargo zu erreichen.
Die Kundenorientierung müssen wir noch stärker im Unternehmen verankern.
Eric Grob, Verwaltungsratspräsident von SBB Cargo
Haben Sie einen Bezug zu Romandie oder Tessin?
Grob: Meine Mutter stammt aus dem Kanton Fribourg, daher verstehe ich die Kultur unserer französischsprachigen Schweiz sehr gut. Das Tessin kenne ich dagegen nur von schönen Ferien. Immerhin habe ich zwei Jahre in Norditalien gelebt und dabei die südländische Mentalität schätzen gelernt.
Wie kann SBB Cargo noch schneller werden? Geschieht dies vor allem über Innovationen wie die automatische Kupplung der Wagen und die automatische Bremsprobe?
Baer: Ja, das sind sehr wichtige Innovationen. Die automatische Bremsprobe wird in der Schweiz gegen Ende Jahr pilotiert. Wir sind sehr froh, dass nun auch europäische Bahnen wie DB Cargo und die SNCF Fret bei der automatischen Kupplung mitmachen. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den Green Deal der EU-Kommission – die EU möchte ja bis 2050 klimaneutral werden und spricht dafür viel Geld. Der Güterverkehr ist europäisch aufgesetzt, und es wäre schwierig, wenn die Schweiz allein geblieben wäre. Die Geschwindigkeit des Güterverkehrs wird heute durch den Regionalverkehr stark eingeschränkt, da Regionalzüge sehr oft anhalten. Die Prioritätenordnung soll nun ändern und der Güterverkehr vor dem Regionalverkehr eingeplant werden. Das wirkt sich positiv auf unsere Geschwindigkeit aus.
Herr Grob, Sie sind Finanzchef der Firma Greenreb, die Hallengolf in Mitteleuropa populär machen will. Gibt es etwas, was man aus dem Golf fürs Logistikgeschäft lernen kann? Vielleicht den Umgang mit Handicaps?
Grob: Nein, bei Greenreb geht es nicht um Hallengolf. Greenreb ist Lizenznehmer von Topgolf, die einzigartige, technologiebasierte Unterhaltungsanlagen baut, um den Gästen eine aussergewöhnliche Erfahrung aus Sport, Essen, Trinken und Musik zu bieten. Über 20 Millionen Gäste (mehrheitlich Nichtgolfer) haben im letzten Jahr Topgolf weltweit besucht, und wir wollen diese neue Unterhaltungserfahrung nun Gästen aus der DACH-Region zugänglich machen. Ich selbst spiele übrigens auch kein Golf. Auch Topgolf muss – analog SBB Cargo – ihren Kunden einen Mehrwert bieten, sonst würden diese nicht wiederkommen. Diese Kundenorientierung ist in der Entertainmentindustrie deutlich stärker verankert als aktuell noch bei SBB Cargo, doch dieses «Handicap» adressieren wir bereits.
Haben Sie auch schon Golf gespielt, Frau Baer – oder welche Sportart mögen Sie?
Baer: Ich spiele Golf, aber eher draussen. Wenn man nicht so gut spielt – was auch eine Zeitfrage ist –, hat man dort allerdings weniger Erfolgserlebnisse (lacht).
Fotos: Severin Nowacki