Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnel im Dezember 2020 ist ein weiteres Puzzlestück für eine leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung durch die Schweiz fertiggestellt. Der Ausbau des internationalen Güterverkehrskorridors ist jedoch um mindestens ein Jahrzehnt verspätet. Die Produktivitätssteigerungen im internationalen Kombinierten Verkehr sind folglich nur halb so gross wie ursprünglich geplant.
Der Bundesrat anerkennt die verzögerte Umsetzung im Grundsatz und legt mit dem Verlagerungsbericht vom 13.11.2019 ein «Massnahmenpaket zur Stärkung der Verkehrsverlagerung» vor. Aus Sicht der Schweizer Gütertransport-Branche reichen die vorgeschlagenen Massnahmen jedoch nicht aus. Um die Wettbewerbsfähigkeit des UKV (Unbegleiteter Kombinierter Verkehr) im alpenquerenden Verkehr zu erhalten und die Verlagerung fortzusetzen, fordert die Branche zusätzliche Massnahmen.
Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels im Dezember 2020 wird das NEAT-Projekt offiziell abgeschlossen. Die Vorteile für den Güterverkehr im Alpentransit durch die Schweiz werden jedoch erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung eintreten. Zahlreiche Faktoren tragen dazu bei, dass die Produktivität der eingesetzten Ressourcen – Lokomotiven, Personal, Bahnwagen usw. – bei weitem nicht in dem Ausmass und in dem Zeitrahmen gesteigert werden kann wie ursprünglich geplant:
- Der verspätete Ausbau der Zulaufstrecken im Norden verunmöglicht den Betrieb von 740-m-Zügen.
- Häufige und international nicht koordinierte Baustellen mit Umleitungen und temporären Kapazitätsengpässen verhindern die erwartete Fahrzeitreduktion und führen zu laufend zunehmenden Qualitätsdefiziten. Die Folgen sind Verspätungen und ein ineffizienter Einsatz der Ressourcen.
- Aufgrund der nicht koordinierten internationalen Trassenplanungen verpufft die Fahrzeiteinsparung in der Schweiz bis auf weiteres an den Grenzen.
- Die verbleibenden Neigungen der Strecke und das Betriebskonzept des Gotthard-Basistunnels erfordern weiterhin den Einsatz einer zweiten Lok für schwere Züge.
Unter diesen Bedingungen können die Operateure des Kombinierten Verkehrs maximal die Hälfte der ursprünglich erwarteten Produktivitätseffekte realisieren. Um das heutige Volumen im transalpinen Kombinierten Verkehr beizubehalten und mittelfristig zusätzliche Verkehrsmengen im Hinblick auf das Verlagerungsziel zu gewinnen, schlägt die Schweizer Gütertransportbranche eine längerfristige Ausrichtung der Verlagerungspolitik bis 2030 mit zusätzlichen Massnahmen vor.
1. Laufzeitverlängerung des Zahlungsrahmens für die Förderung des UKV transalpin bis 2030
Um die positiven Ergebnisse der bisherigen Verlagerungspolitik nicht zu gefährden, darf die Förderung des transalpinen UKV nicht verfrüht ausgesetzt werden. Aus Sicht des Markts ist eine Laufzeitverlängerung der Fördermassnahmen bis 2030 notwendig. Erst ab 2030 ist mit der Realisierung der vorgesehenen weiteren Produktivitätseffekte zu rechnen.
Weiter haben die Qualitätsdefizite der KV-Züge gemäss dem Monitoring des Bundesamts für Verkehr kontinuierlich zugenommen. Während 2009 75 Prozent der Züge weniger als eine Stunde Verspätung hatten, waren es in der 1. Hälfte 2019 nur noch 55 Prozent aller Züge. 12 Prozent der Züge haben heute gar 12 und mehr Stunden Verspätung. Diese Qualitätsdefizite, getrieben durch den Ausbau der Korridor-Infrastruktur mit zahlreichen Baustellen und Kapazitätseinschränkungen, werden die Produktivität bis mindestens 2030 weiterhin stark belasten.
Der Zeithorizont 2030 schafft auch die erforderliche Investitionssicherheit. Transportunternehmen werden in Container und kranbare Auflieger, Operateure in Bahnwagen und Terminals und Bahnunternehmen in Lokomotiven investieren, wenn eine längerfristige Nutzung dieser Investitionsgüter sichergestellt ist.
2. Fördermittel für Betriebsabgeltungen des UKV in Höhe von jährlich CHF 55 Mio. ab 2024
Eine leistungsfähige Bahninfrastruktur in Kombination mit Trassenpreisen auf dem Niveau der Nachbarländer Deutschland und Italien ermöglicht den eigenwirtschaftlichen Betrieb des Kombinierten Verkehrs durch die Schweiz – dieser Leitsatz hat weiterhin Bestand. Doch die betrieblichen und infrastrukturellen Voraussetzungen auf dem Nord-Süd-Korridor durch die Schweiz erfüllen diese Anforderungen weder aktuell noch in den kommenden Jahren. In diesem Zeitraum werden die Operateure des Kombinierten Verkehrs und die Bahnunternehmen die Produktivität bei Fertigstellung der NEAT um maximal die Hälfte des ursprünglich geplanten Werts erhöhen können.
Zwar leistet die Schweizer Trassenpreisrevision 2021 – welche den Basispreis für den Güterverkehr absenkt und Rabatte für lange Züge einführt – einen deutlichen Beitrag zur Unterstützung des UKV. Dennoch verbleibt eine Lücke von etwa der Hälfte der Betriebsabgeltungen des Referenzjahres 2018 in Höhe von CHF 110 Mio.
Aus dieser Analyse der Lage fordert die Gütertransportbranche, dass der Unbegleitete Kombinierte Verkehr bis 2030 mit Betriebsbeiträgen von CHF 55 Mio. pro Jahr gefördert wird. Damit kann der UKV das heutige Verlagerungsvolumen aufrechterhalten und gegebenenfalls auch das Verkehrswachstum weitgehend auffangen. Sollten sich die Rahmenbedingungen rascher verbessern als angenommen – beispielsweise durch eine massgebliche Verbesserung der Qualität oder eine nachhaltige Optimierung der internationalen Fahrpläne – so könnten auch weiterhin zusätzliche Verkehrsvolumen für den UKV gewonnen werden.
Mit dem erwarteten weiteren Wachstum des UKV bis 2030 würde der Abbaupfad der Fördermittel pro Sendung wiederum erheblich verbessert werden. Während 2011 je verlagerte LKW-Ladung durchschnittlich CHF 173 Betriebsbeiträge bezahlt wurden, waren es 2018 noch CHF 116. Nach den Vorstellungen der Gütertransport-Branche würde dieser Betrag bis 2030 weiter sinken auf CHF 40-45 pro verlagerten LKW.
3. Ausbau der Zulaufstrecken im Norden: Abschluss von Staatsverträgen mit Belgien und Frankreich und Umsetzung der Massnahmen des Staatsvertrags mit Deutschland
Das NEAT-Konzept zur Förderung des Schienengüterverkehrs ist auf effiziente, leistungsfähige Zufahrtslinien zu den Basistunneln angewiesen, um die Versorgung der nachfragestärksten Wirtschaftsstandorte Europas sicherzustellen. Nach Inbetriebnahme des 4m-Korridors stellt sich die Situation wie folgt dar:
- 3 Zufahrtslinien in Italien – via Chiasso, Luino und Domodossola
- 2 Linien in der Schweiz – via Gotthard- und Lötschberg-Basistunnel
- 1 Zufahrtslinie nördlich von Basel – via Karlsruhe – Mannheim – Köln – Benelux
Für das Nadelöhr im Norden muss dringend eine Alternative geschaffen werden. Als leistungsfähige Alternativroute (Flachbahn) kommt einzig die linksrheinische Strecke via Frankreich in Betracht. Sie ist optimal für die volumenstarke Relation Belgien – Italien. Zudem ist eine direkte Verbindungsstrecke mit dem rechtsrheinischen Korridor vorhanden, was der Risikominderung dient.
Diese Strecken entsprechen jedoch noch nicht den Korridor-Parametern der Transitachse Schweiz und führen daher aktuell nur ein geringes Verkehrsvolumen. Um die Kapazitäten auf diesen alternativen Routen stärker für den UKV durch die Schweiz nutzbar zu machen, muss die Strecke Zeebrugge/Antwerpen – Strasbourg – Basel und die Querverbindung Wörth – Lauterbourg – Strasbourg ausgebaut werden auf die Parameter 740m Zugslänge, 4m Eckhöhe, 2000 t mit einer Lok, ETCS. Dadurch entstünde auch im Norden ein System mit zwei Zulaufstrecken und einer linksrheinischen Ausweichmöglichkeit.
Der Ausbau einer korridorkonformen Alternativstrecke via Frankreich ist bezüglich der Kosten voraussichtlich überschaubar. Er liegt stark im Interesse der Schweiz und seiner Transit-Verlagerungspolitik. Zur Umsetzung bedarf es einer politischen Initiative der Schweiz gemeinsam mit Frankreich und Belgien, die in einem Staatsvertrag zum Infrastrukturausbau münden sollte. Das Parlament sollte den Bundesrat auffordern, eine entsprechende staatsvertragliche Initiative zu ergreifen.
Zudem muss der Ausbau der Rheintalbahn in Deutschland mit Nachdruck weiterverfolgt werden. Die Fertigstellung dieser vertraglich vereinbarten Kapazitätssteigerung wurde auf 2040 verschoben.