Auf den ersten Blick entspricht der schlanke junge Mann nicht dem typischen Bild, das man von einem Rangiermitarbeiter hat. Doch Jonathan Kürsteiner (23) kann zupacken. Und er übernimmt Verantwortung.
Soeben hat Jonathan – oder «Johnny», wie ihn seine Kollegen nennen – ein paar leere Güterwagen aneinandergekuppelt. Jetzt stehen wir auf der Plattform der Am 843, gemächlich rollt die Lok über die Gleise von Dietikon. Die Mittagssonne scheint und der leichte Fahrtwind weht uns ins Gesicht.
Jonathan Kürsteiner strahlt: «Gibt es ein schöneres Gefühl, als hier draussen zu stehen?» Dann grinst er: «Natürlich ist es bei Kälte und Schnee nicht gleich lustig.» Doch sofort schwenkt er wieder ins Positive: «Ich bin draussen, ich bin in Bewegung, ich trage Verantwortung. Das ist es, was ich an diesem Beruf so mag.»
Dass Jonathan Kürsteiner als Rangierleiter hier steht, ist allerdings nicht selbstverständlich. Nach der Lehre bei der SBB als Logistiker EFZ, Verkehr wollte er anderes ausprobieren: Er ging auf Reisen, leistete seinen Militärdienst – und landete schliesslich bei der Swiss als Flugbegleiter. Dann kam Corona… Jonathan Kürsteiner erinnerte sich, dass es ihm bei der SBB gut gefallen hatte und ihm die Rangierarbeit Spass machte. Also bewarb er sich 2020 bei SBB Cargo. Seither kuppelt und rangiert er in Dietikon.
Ein Ablauf mit Tücken
Jonathan Kürsteiner sieht nicht alles rosig. Offen spricht er über die Herausforderungen seines Berufs. Wie bei einem Marathon, den er als leidenschaftlicher Läufer pflegt, brauche es beim Rangieren viel Ausdauer. «Die Koordination ist sehr komplex.» Er zeigt auf eine Wagenkolonne und gibt ein Beispiel: «Sagen wir, hier in der Mitte ist ein Wagen defekt. Zuerst muss ich den Wagen herauslösen. Dann ein freies Gleis für ihn finden. Darauf einen neuen Wagen als Ersatz suchen, diesen aus seiner aktuellen Komposition lösen, ihn rüberziehen und alles wieder zusammenfügen.» Dazu kommt: «Bei jeder Bewegung müssen wir einmal vorwärts und einmal rückwärts fahren. Wir müssen das richtige Tempo wählen. Und wir müssen alles mit dem Fahrdienst koordinieren…» Er schöpft Atem. «Aber ich bin stolz, diese Verantwortung zu tragen.» Er blickt mich grinsend an. «Gibt es so etwas im Büro?»
Mittlerweile haben wir die Komposition mit den leeren Wagen auf einem Gleis für die technische Kontrolle bereitgestellt. Jonathan Kürsteiner hebelt an der Lok, er wechselt von Schraubenkupplung auf automatische Kupplung. Als nächstes widmet er sich ein paar Wagen des kombinierten Verkehrs, auf denen Container thronen. Heute ist er auf Tour mit Lokführer Joachim Pfund, der 44 Jahre SBB-Erfahrung mitbringt. Der Routinier und der junge Mann verstehen sich blendend. Jonathan Kürsteiner spricht Anweisungen ins Gerät LISA – welches Gleis, welches Tempo. Joachim Pfund führt vorsichtig aus, was er hört.
Lieber langsamer, dafür sicher
Es fällt auf, wie vorsichtig und vorausschauend das Tandem agiert. Darauf angesprochen, wird Jonathan Kürsteiner nachdenklich. «Es gibt hier etliche Möglichkeiten, sich zu verletzen. Man muss vieles lernen: wo die Gefahren lauern, wie ich alle Vorschriften anwende – und man muss einen bestimmten Mindset entwickeln.» Mindset? «Meine Überzeugung ist: Lieber langsamer arbeiten – dafür stets sicher.» Der schwere Unfall Mitte März am Rangierbahnhof Limmattal (RBL) ist Jonathan Kürsteiner in die Knochen gefahren. «Das hat mir wieder ins Bewusstsein gerufen, dass wir in jedem Augenblick für uns selber und für das Leben unserer Kollegen verantwortlich sind.»
Da ist sie wieder, die Verantwortung, die er mag. Verantwortung sucht er auch in Zukunft. Während wir die anfängliche Wagenkomposition von Dietikon in den RBL zum Ablaufberg bringen, erzählt Jonathan Kürsteiner von seinen Plänen: Im Herbst wird er die Ausbildung zum Lokführer B100 beginnen. «Und ich kann mir gut vorstellen, eines Tages als Teamleiter zu arbeiten.» Der Beruf des Rangiermitarbeiters biete gute Karrierechancen.
Zuerst wird «Johnny» aber Frühling und Sommer geniessen. Er blinzelt in die Sonne. «Draussen sein und gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, dass die Schweizer Wirtschaft rollt – das ist toll.»
Sind Sie am Beruf des Rangiermitarbeitenden bei SBB Cargo interessiert? Eine gute Basisausbildung ist Logistiker:in EFZ, Verkehr bei Login. Quereinsteigende aus logistischen, handwerklichen oder ähnlichen Bereichen sind ebenso willkommen.