Wer sich nicht weiterentwickelt, landet schnell auf dem Abstellgleis. Anja-Maria Sonntag, Projektleiterin Automation, sagt, welche Projekte bei der Innovationsoffensive bei SBB Cargo im Vordergrund stehen.
SBB Cargo macht die Güterwagen fit fürs digitale Zeitalter. Warum erst jetzt?
Im Vergleich zu anderen Bahnen oder Wagenhaltern sind wir früh dran und haben einen Vorsprung. Auch haben sich die technologischen Möglichkeiten energieautarker Systeme in den letzten Jahren nochmals stark weiterentwickelt.
Und im Vergleich mit der Strasse?
Dieser Vergleich ist schwierig, da Lastwagen auf ihren Fahrzeugen Strom haben. Der Güterwagen an sich ist ein Stück Eisen ohne Strom.
Trotzdem: Weshalb ist die Vernetzung der Waggons so wichtig, um mit dem Güterverkehr auf der Strasse Schritt halten zu können?
In Zukunftsforen fallen Begriffe wie Logistic 4.0., integrierte Logistikketten und Just-in-time-Lieferungen. Wir alle kennen die Bemühungen von Versandhändlern, in immer kürzerer Zeit die Waren zum Verbraucher zu bringen. Um diesen Trends zu folgen, sind die Transparenz der Logistikkette und die Nachvollziehbarkeit der Transportwege sowie automatisierte Datenverarbeitung extrem wichtig. Hier können wir nur mithalten, wenn unsere Wagen intelligent sind.
Sensoren spielen bei intelligenten Güterwagen eine entscheidende Rolle. Wie setzt SBB Cargo die gewonnenen Daten konkret um?
Sensoren sind nur ein kleiner Teil. Die eigentlichen Benefits ergeben sich aus dem Datenmanagement. Die gewonnenen Daten können in der Cloud mit weiteren Datenquellen verknüpft werden. Ausserdem können wir die Wagen in einem speziellen Internetportal verfolgen oder aber auch die Daten, wie etwa die Laufleistung, direkt in unser SAP-System einbringen. Kunden werden in Zukunft einen auf sie zugeschnittenen Zugriff auf das Datenportal erhalten und so die für sie relevanten Informationen wie Ankunftszeit, Dokumentation der Kühlkette oder unerlaubte Zugriffe direkt abfragen können.
In einer Pilotphase rüstete SBB Cargo 150 Kühlwagen mit Sensoren aus. Gab es Überraschungen?
Die Pilotphase ist ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses. Es ist sogar erwünscht, dass man hier Überraschungen erlebt, damit man die Systeme verbessern und etwas dabei lernen kann. In der Summe sind wir sehr zufrieden.
Was haben Sie gelernt?
Etwa, dass die Zuordnung der Daten für die Kunden ganz wichtig ist. Bei sensitiven Gütern können sie kontrollieren, ob die Temperaturen während eines Transports im vorgegebenen Rahmen waren. Eine weitere Anwendung betrifft das Thema Food Defense. Wir können dem Kunden die Sicherheit geben, dass der Wagen während der Fahrt nicht geöffnet wurde. Wie wichtig dies den Kunden ist, hatten wir etwas unterschätzt.
Warum Kühlwagen in der Pilotphase?
Handelsgüter eignen sich generell gut dafür, und je sensitiver die Ware ist, desto höher sind die Anforderungen an die Logistik. Bei Kühlwagen ist die Temperatur ein besonders sensibler Parameter.
Was sind die nächsten Schritte?
Die Intelligenz für Güterwagen, die alle Anforderungen unserer Kunden erfüllt, kann man nicht als serienreifes Produkt am Markt kaufen. Es sind alles Prototypen, die wir mit dem Lieferanten weiterentwickeln. Dank der neu gewonnenen Erfahrung haben wir die technischen Aspekte verbessert, etwa die Genauigkeit und Häufigkeit des GPS-Signals. Ab Oktober wird die Serienlösung fertig, und als Nächstes wird es um die Ausrollung gehen. Das Portal, auf dem die Kunden den Weg ihrer Güter via «Track and Trace» verfolgen können, wird Ende 2016 aufgeschaltet.
Wann werden alle Güterwagen von SBB Cargo mit Sensoren unterwegs sein?
Unser Ziel ist es, dies möglichst bald zu realisieren. Wir haben uns einen Zeithorizont von zwei Jahren gesetzt.
Wie steht es mit der Umsetzung der «wegseitigen Intelligenz», eines weiteren Projekts der Automatisierungsoffensive von SBB Cargo?
Cargo Magazin 3/16
Es geht dabei um zwei Themen: um Kameras, welche die Wagen filmen, nach Schäden suchen und automatisch auswerten. Die erste dieser Kameras wird derzeit in der Instandhaltung in Muttenz für ihre Aufgabe trainiert. In einem nächsten Schritt wird die Kamera an der Einfahrt zum Rangierbahnhof Limmattal aufgestellt, wo sie Güterzüge im produktiven Einsatz kontrolliert. Andererseits wollen wir die von Infrastruktur erhobenen Kontrolldaten optimal auswerten. Das Ziel ist schliesslich, schneller, nachvollziehbarer und zuverlässiger produzieren zu können.
Sensorik und Kameras in Ehren, aber sind Menschen letztlich nicht verlässlicher als Geräte?
Um abzuschätzen, ob Baumstämme auf einem Güterwagen genügend fixiert sind, sind sicher die Menschen besser. Beim exakten Abmessen einer Strecke schneidet die Maschine besser ab. Wir kombinieren die Stärke von Mensch und Maschinen. Wir wollen nicht komplett automatisieren, aber unser Ziel sind möglichst bedienungsarme Abläufe.
Welche Vorteile verspricht sich SBB Cargo von einer computergesteuerten Logistikkette?
Intelligente Güterwagen sind eine Anforderung des Marktes. Wir sind ein Teil der Logistikkette der Kunden, und da müssen wir hineinpassen.
Welche innovativen Projekte sind bei SBB Cargo in der Pipeline?
Wir arbeiten an einer automatischen Kupplung und Bremsprobe, um die Abläufe schneller zu machen. Die ersten damit ausgerüsteten Züge werden bereits nächstes Jahr fahren. In einem weiteren Projekt streben wir variable Containeroberbauten der Güterwagen an. Dafür überlegen wir uns, den Oberbau und Unterbau zu trennen. Der Oberbau soll je nach Anforderung der Kunden und der Güter angepasst werden.
Weitere Innovationen?
Nächstes Jahr werden wir einen neuen Zug mit verschiedenen innovativen Komponenten zum Thema Lärmschutz fahren lassen.
Sind selbstfahrende Rangierloks bei SBB Cargo bald Realität?
Wir arbeiten im Augenblick daran, die schon im Einsatz stehenden Funkfernbedienungen der Loks um ein Display und ein Kollisionswarnsystem zu erweitern. Aber eine vollautomatische Rangierlok wird wohl erst 2020 oder 2023 auf Fahrt gehen.