ETH-Professor Scholl: «Viel mehr Güter müssen mit der Güterbahn transportiert werden»

Bernd Scholl ist seit 2006 ordentlicher Professor für Raumentwicklung am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich. Im Interview bei SBB Cargo erläutert er, welche Rolle die beiden Basistunnel am Gotthard und Ceneri künftig spielen und warum ein Ausbau der Basler Rheinhäfen wichtig ist.

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ETH-Professor Scholl: «Wir sollten die Zersiedelung der Städte stoppen»

Herr Prof. Dr. Scholl, alle Prognosen gehen für die nächsten Jahre von weiter wachsenden Gütermengen aus. Wie lassen die sich verteilen, ohne dass es zum Verkehrskollaps kommt?
Wenn man sich alleine die Ausbaupläne der Nordsee-Häfen Antwerpen und Rotterdam anschaut, wird der Bedarf sichtbar. Um zu verhindern, dass der Verkehr rund um die Seehäfen auf den Zufahrtsstrassen zusammenbricht, brauchen wir den Ausbau der Hinterlandanbindungen und eine Veränderung des Modal Split. Viel mehr Güter müssen mit Binnenschiffen und der Güterbahn transportiert werden.

Was hat das für Konsequenzen?
Mit den beiden Basistunneln am Gotthard und am Ceneri ist in der Schweiz bereits ein wesentlicher Teil der Infrastruktur für die Verlagerung der Transporte auf die Schiene geschaffen worden. Aber es gibt auch bei uns auf den Zulaufstrecken noch Flaschenhälse, die zu beseitigen sind. Und die Basler Rheinhäfen müssen zu einem trimodalen Verkehrsknotenpunkt weiterentwickelt werden, hier gibt es noch ein grosses Potenzial.

Und das bedeutet konkret?
Die Umschlagmöglichkeiten für die Container von der Schiene auf das Binnenschiff und umgekehrt sind weiter zu verbessern. Es müssen in den Binnenhafen längere Ganzzüge als heute umgeschlagen werden können. Wie brauchen eine wirkliche Verknüpfung von Wasserwegen, Strasse und Schiene.

Die Herausforderung besteht dabei aber auch darin, die verkehrstechnischen Massnahmen mit einer Steigerung der Lebensqualität und Förderung der Standortattraktivität zu verbinden. Wie ist dieses Ziel zu erreichen?
Der Ausbau der Knotenpunkte sollte so geschehen, dass auch die Umwelt davon profitiert. Die Risiken von Gefahrguttransporten oder die Lärmbelästigung lassen sich zum Beispiel dadurch reduzieren, dass in den Ballungsräumen Güterumfahrungen mit eigenen Trassen gebaut werden. Ich plädiere sehr dafür, den Schienengüter- und den Personenverkehr, dort wo es machbar ist, zu entflechten.

Und was ist in den Innenstädten?
Der Onlinehandel und damit das Paketaufkommen werden in den nächsten Jahren weiter wachsen. Doch die Zuverlässigkeit der Belieferung wird durch die Staus auf den Strassen immer geringer. Die Schiene hat den Vorteil, dass man darüber mit den Gütertransporten mitten in die Stadtzentren kommt. Wenn die weitere Verteilung mit Lastwagen dann so erfolgt, dass sie gegen den Strom stattfindet, können wir die Probleme in den Griff bekommen. Statt mit den Pendlern morgens in die Städte zu fahren und zusätzlich die Strassen zu verstopfen, nehmen die Gütertransporte aus dem Zentrum heraus den umgekehrten Weg.

Cargo Magazin 3/14

Im neuen Cargo Magazin dreht sich alles um die Faszination Güterverkehr. Das Heft ist erhältlich ab dem 24. Oktober 2014. Zum Abo.
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 Das erfordert aber eine ausgeklügelte Planung?
Die Städte brauchen dafür Logistikkonzepte für die Verteilung von Gütern. Nicht nur – wie heute meist – Verkehrsplanungen, die vor allem auf den Personenverkehr bezogen sind. Das Zusammenspiel von Raum- und Verkehrsentwicklung ist entscheidend. Wir sollten die Zersiedelung der Städte stoppen und die benötigten Flächen für Logistikterminals bereitstellen beziehungsweise sie schon heute für die Zukunft sichern. Auch wenn wir sie vielleicht erst in 20 oder 30 Jahren brauchen.

Sie sind ja stark im CODE24-Projekt engagiert – um was geht es dort genau, wie ist der Stand und welche weiteren Pläne gibt es?
Mit diesem Förderprojekt der EU soll die Verkehrsachse vom Nordseehafen Rotterdam zum Mittelmeerhafen Genua entlang der transeuropäischen Eisenbahnverbindung mit der Nummer 24 verbessert und entwickelt werden. Diese Initiative, an der alle wesentlichen Akteure beteiligt sind, fördert auch die wirtschaftliche Entwicklung und berücksichtigt die Raumplanung im gesamten Verkehrskorridor. Die enge Zusammenarbeit hat bereits dazu geführt, dass Kapazitätsengpässe erkannt und Lösungsansätze diskutiert wurden. Im November findet die Abschlusskonferenz von CODE-24 in Mannheim statt, dort soll dann ein europäischer Zweckverband gegründet werden. Der wird auf Basis einer gemeinsamen Strategie die anstehenden Aufgaben forciert in Angriff nehmen.

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