Die digitale automatische Kupplung soll europaweit eingeführt werden. Damit wird der Güterverkehr auf der Schiene wettbewerbsfähiger. SBB Cargo fährt ganz vorne mit: Die Güterbahn hat viel in die Digitalisierung investiert und setzt die automatische Kupplung seit Mai 2019 ein.
Gekuppelt werden Züge heute grösstenteils wie vor 100 Jahren – eine schwere Arbeit, die Kraft und Ausdauer braucht. Verschiedene Tatsachen sprechen dafür, dass die manuelle Kupplung ausgedient hat. Die physische Herausforderung ist eine davon. Eine weitere Tatsache ist, dass SBB Cargo vor einer grösseren Pensionierungswelle steht. Damit verbunden ist die Frage nach der Zukunft: Durch Automation und Digitalisierung wird die Arbeit im Rangierbereich sicherer und attraktiver. Ein neues Berufsbild entsteht.
Eine modernisierte Bahn trägt zur Erreichung der Klimaziele bei
Die Modernisierung des Schienengüterverkehrs ist dringend notwendig. Dies zeigt die oben dargelegte aktuelle Ausgangslage bei Eisenbahnunternehmen wie SBB Cargo. Ebenso gibt es Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene, die nach Modernisierung rufen. So gilt es, Klimaziele zu erreichen – trotz wachsendem Güterverkehr.
Die Verkehrsperspektiven 2040 des Bundesamts für Raumentwicklung sagen in der Schweiz eine Steigerung der Gütertransporte um 37 Prozent voraus. Gleichzeitig ist eine Reduktion des CO2-Ausstosses notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Der Schienengüterverkehr kann dazu einen grossen Beitrag leisten, denn der Verlagerungseffekt erlaubt es, massgeblich CO2 einzusparen. Um diesen Effekt einer weiteren Verlagerung von der Strasse auf die Schiene erzielen zu können, ist die Modernisierung des Schienengüterverkehrs unumgänglich. Eine grosse Hürde stellen dabei dessen Erneuerungs- und Innovationszyklen dar. Diese sind verglichen mit der Strasse lange, der Rückstand in der Modernisierung ist entsprechend gross. Höchste Zeit also, auch den Güterverkehr auf der Schiene voranzutreiben und so dessen Attraktivität im Markt zu erhöhen.
Von manuell zu automatisch und digital
Die automatische Kupplung ist eines der wichtigsten Innovationsprojekte in Europa. Sie bringt verschiedene Vorteile mit sich: Der manuelle Kupplungsprozess entfällt, Kuppeln und Entkuppeln nehmen weniger Zeit in Anspruch. Folglich steigt die Produktivität. In Verbindung mit der automatischen Bremsprobe – der Rangiermitarbeitende muss den Zug vor der Abfahrt nicht mehr ablaufen – erfolgt die Zugabfertigung erheblich effizienter. Die automatische Kupplung und die automatische Bremsprobe schaffen eine erste Voraussetzung, um den Güterverkehr auf der Schiene europaweit zu digitalisieren und zu automatisieren.
Die digitale automatische Kupplung baut auf dieser Grundlage auf: Die Güterwagen werden – zusätzlich zur mechanischen und pneumatischen Verbindung – mit einer Elektro- und einer Datenleitung verbunden. So ist die Datenkommunikation über den gesamten Zugverbund möglich. Die Einführung der DAC koordiniert das «European DAC delivery programme» (EDDP). Das Projekt ist breit abgestützt. Alle wichtigen Akteure aus dem Schienen(güter)verkehr sind in den Gremien des EDDP dabei – auch SBB Cargo.
Europäische Zusammenarbeit – historischer Entscheid gefallen
Einen wichtigen Meilenstein haben die am Programm Beteiligten im September 2021 erreicht: Der Entscheid für den einheitlichen Kupplungskopf vom Typ Scharfenberg ist gefallen. Dieser Beschluss ist eine Voraussetzung, dass der Güterverkehr länderübergreifend kompatibel bleibt. Verschiedene Hersteller werden nun entsprechende Kupplungen weiterentwickeln – es gilt, einen gigantischen Markt von 500 000 Güterwagen in Europa umzurüsten.
Pionierarbeit auf europäischer Ebene
SBB Cargo hat erheblich zum Zustandekommen dieses historischen Entscheids beigetragen. Den gewählten Kupplungskopf hat das Unternehmen während der letzten Jahre zusammen mit Voith erprobt und weiterentwickelt. Als einziges Eisenbahnverkehrsunternehmen europaweit hat SBB Cargo die Scharfenbergkupplung bereits im Betrieb eingesetzt – ohne grössere Probleme. Die Umrüstung der ersten Wagen erfolgte 2019. Dabei erlaubt die im Betrieb eingesetzte automatische Kupplung automatisches sowie teilautomatisches Kuppeln.
Schweizer Gütertransportgesetz macht Innovationen möglich
Das 2016 in Kraft getretene Gütertransportgesetz ermöglicht es dem Bund, Innovationsprojekte im Schienengüterverkehr finanziell zu unterstützen (GüTG, Art. 10). Doch für umfangreiche Investitionen wie die Umrüstung auf die digitale automatische Kupplung reicht der «Innovationstopf» bei Weitem nicht aus. Das Parlament hat darum 2020 die Motion Dittli angenommen. Damit hat es dem Bundesrat den Auftrag erteilt, ein Konzept für die Finanzierung und die koordinierte Umsetzung technischer Neuerungen zu erarbeiten. Dieses wird voraussichtlich im Sommer 2022 vorliegen.
Auf europäischer sowie nationaler Ebene sind die Weichen für die Modernisierung des Schienengüterverkehrs gestellt. In einem nächsten Schritt geht es um die europaweite Umstellung. Dies ist eine Herkulesaufgabe, welche die Beteiligten mit vorausschauender Planung, enger Koordination untereinander und geeigneten politischen Rahmenbedingungen meistern können – damit in naher Zukunft nicht mehr gekuppelt wird wie vor 100 Jahren.
Ich sehe bis jetzt nur Drehgestellwagen. Funktioniert das auch mit 2-Achswagen?
Die Umstellung (Pilot) in der Schweiz erfolgte bisher mit 4-achsigen Flachwagen für den kombinierten Binnenverkehr. Grundsätzlich ist aber jede Art von Güterwagen tauglich für die automatische Kupplung.