Lokführerin

Gaby Fischers Leidenschaft für kraftvolle Kolosse.

Wenn es dröhnt, surrt und rumpelt, fühlt sich Gaby Fischer wohl: Als Lokführerin bei SBB Cargo transportiert sie mit kräftigen Lokomotiven tonnenschwere Güter durch die Schweiz. Eindrücke einer Fahrt von Dietikon nach Altdorf.

Zwei leere, gelbe Schüttgutwagen, ein ebenfalls leerer Schotterwagen und zwei versiegelte Bahnwagen mit «Brocki-Ware» von Texaid: Das ist die Fracht, die Gaby Fischer (41) an diesem Tag vom Rangierbahnhof Limmattal nach Altdorf bringen muss. Ihre» Lok ist ein 120-Tonnen-Koloss und steht auf Gleis 417. Die Wagen, die sie mitnehmen muss, sind parat, aber noch nicht angekuppelt. Gaby Fischer nimmt schon mal die Lok in Betrieb: Batterie einschalten, Bordjournal konsultieren, Stromabnehmer aktivieren. Ein Gang rund um das Fahrzeug gehört zum Sicherheitscheck. Beat Sonderegger, der technischer Kontrolleur, kommt dazu. «Dein Zug?» fragt er Gaby Fischer. Viel gesprochen wird nicht; jeder konzentriert sich auf seine Aufgabe. Sonderegger kuppelt die Wagen an die Lok. Die Lokführerin macht einen zweiten Kontrollgang.

Bevor sie losfährt, muss Gaby Fischer in der Lok die Daten des Zuges mit Nummer 62323 im System erfassen und sich für den Funk registrieren. Ein erster Funkkontakt mit der Fahrdienstleiterin im Rangierbahnhof Limmattal ist auch gleich nötig. «Gaby von 62323» meldet sie sich und informiert, dass sie abfahrbereit ist. Die Kollegin dort erteilt ihr die Erlaubnis abzufahren. «Das war Yvonne», kommentiert Gaby Fischer fröhlich, «mit ihr habe ich früher im Stellwerk in Bülach zusammengearbeitet.»

Fasziniert von Motoren.

Bülach war eine von vielen Stationen auf Gaby Fischers Berufsweg bei der Bahn, bevor sie 2013 Lokführerin bei SBB Cargo wurde. Begonnen hat ihre Laufbahn mit einer Lehre zur Bahnbetriebsdisponentin, später arbeitete sie als Zugverkehrsleiterin. 2007 wechselte sie zum Lokführerberuf, machte die Ausbildung bei der SBB Tochter Thurbo. Den Wechsel in den Führerstand hat sie nie bereut. Auf die kleine, zierliche Person mit der üppigen Lockenpracht übte schon in der Kindheit alles, was einen starken Motor hatte, grosse Anziehung aus. Lokomotiven, Traktoren, Lastwagen, Flugzeuge: Solche Kolosse gefielen ihr besser als Puppen. Sie sei in einem Haus nahe einer Bahnlinie aufgewachsen, erzählt sie. «Das hat schon geprägt.» Als Lokführerin bei SBB Cargo ist die Frau mit der Vorliebe für Mechanik und Technik am richtigen Platz. «Ich mag es, dass im Güterverkehr vor allem ältere Loks eingesetzt werden», sagt Gaby Fischer, «da spürt man die Kraft der Maschine.»

Auch die Re620, die Gaby Fischer jetzt in Bewegung setzt, hat schon rund 40 Jahre auf dem Buckel. Pünktlich um 11.45 Uhr beginnt die Fahrt. Sie klappt Seitenspiegel aus und wirft einen Blick nach hinten. Ein erster Bremstest erfolgt gleich nach dem Anfahren. Ein zweiter dann im Heitersbergtunnel, nachdem sie auf 80 km/h beschleunigen konnte. Alles in Ordnung. Ein Zug kommt entgegen. Gaby Fischer schaltet kurz das Licht im Führerstand ein und wieder aus. So grüsst sie den anderen Lokführer. Sie schnuppert und mutmasst: «Der transportierte wohl eine Ladung Zuckerrüben.»

Auch in Gaby Fischers Freizeit spielen Motoren eine Rolle: Gerne ist sie dann nämlich auf ihrem Motorrad unterwegs, einer BMW F 700 GS. Wichtig sind der 41-Jährigen aber auch Naturerlebnisse. Darum unternimmt sie gerne Ausflüge. Auf Wanderungen und Streifzügen immer mit dabei: ihre Kamera. Die Fotografie ist nämlich eine weitere Leidenschaft von Gaby Fischer.

Den Bergen entgegen.

Die weitere Fahrt in Richtung Altdorf verläuft plangemäss. Gaby Fischer kann sich kaum satt sehen an den Herbstfarben. Bei Muri sind in der Ferne die Berge erkennbar. Ein Lieblingsmoment für Gaby Fischer; es ist auch eine ihrer liebsten Strecken. Aber auch von Zürich Richtung Chur fährt sie gern. Hauptsache Abwechslung: Eine Woche lang die gleiche Strecke, das findet sie langweilig. Die Einsamkeit im Führerstand geniesst sie hingegen. Das heisst jedoch nicht, dass sie kein geselliger Mensch wäre. «Ich mag es, Kontakt mit Menschen zu haben», stellt sie klar. Darum gefällt es ihr auch, dass sie nebst der Arbeit als Lokführerin ein zweites Tätigkeitsfeld bei der Bahn hat: Als Ausbildnerin gibt sie regelmässig Schulungen für gestandene und für angehende Lokführer. Rund 40 Prozent ihrer Arbeitszeit wendet sie dafür auf. Unter anderem bereitet sie Lokführer auf die periodische Prüfung vor. Aber auch in der Grundbildung für Lokführer unterrichtet Gaby Fischer einzelne Module. Sie schwärmt: «Den Mix zwischen fahren und ausbilden finde ich optimal.»

Der Funkt piept.  In Rotkreuz werde sie vor der Einfahrt in den Bahnhof ein paar Warteminuten haben, informiert sie ein Mitarbeiter der BZ Olten. Gaby Fischer verlangsamt  gleich das Tempo. Nach Rotkreuz führt die Bahnstrecke am Zugersee entlang. Das Blau des Wassers wetteifert mit dem Blau des Himmels. Man sieht es ihr an: Eine Fahrt wie diese macht sie glücklich. In ihrem Beruf geht Gaby Fischer auf. Trotzdem: Vor Frustmomenten ist auch ihr Arbeitsalltag nicht gefeit. Gar nicht lustig findet sie beispielsweise, dass der Güterverkehr bei Störungen meist zweite Priorität hat. «Wenn Du mit Deinem Zug bis zu einer Stunde vor einem geschlossenen Signal stehst, die Personenzüge aber fahren: Das nervt.» Nicht der Rede wert hingegen ist für Gaby Fischer, dass sie nur eine von fünf Lokführerinnen unter 570 Lokführern ist. «Ich arbeite gerne mit Männern zusammen.» Es mache ihr auch nichts aus, mal schwerere Arbeiten zu erledigen und schmutzig zu werden. An einigen Bahnhöfen muss das Cargo Lokpersonal nämlich selber Wagen an- oder abkuppeln.

Vorsprung auf den Fahrplan.

An diesem Tag aber fährt Gaby Fischer trotz der Wartezeit in Rotkreuz keine Verspätung ein. Im Gegenteil: Bereits in Arth-Goldau hat sie eine Viertelstunde Vorsprung auf den Fahrplan. Bis Altdorf wird er auf eine gute halbe Stunde anwachsen. «Manchmal wird zu viel Fahrzeit einberechnet.»

Einfahrt in Altdorf. Gaby Fischer stellt den Zug aufs das ihr zugewiesene Gleis und klettert aus dem Führerstand. Ein Rangierer übernimmt den Zug nun. Ein kurzer Gruss, dann macht er sich an die Arbeit. Auch Gaby Fischer geht nahtlos zur nächsten Aufgabe über: Sie übernimmt eine Re 620, die am Morgen von Bodio nach Altdorf gekommen und nun nach Gisikon-Root muss. Wagen sind keine angehängt. Gaby Fischer steigt auf und bereitet gewissenhaft die Abfahrt vor. Parat. Sie blinzelt in die Sonne, tätschelt das Armaturenbrett und sagt: «Das ist das «stärkste Ross» von Cargo. Und auch das eleganteste.» Findet sie jedenfalls.

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