Der Güterverkehr werde auch im digitalen Zeitalter weiter steigen, prognostiziert Ulrich Seewer, der Vizedirektor des Bundesamts für Raumentwicklung. Begünstigt werde zudem die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene.
Herr Seewer, der Bund prognostiziert, dass der Güterverkehr bis 2040 um 37 Prozent wächst gegenüber 2010 – welches sind die wichtigsten Treiber für diese Entwicklung?
Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Diese erhöhen die Aktivitäten, insbesondere im Baugewerbe (Baustoffe, Steine und Erden), aber auch im Bereich der Nahrungsmittel und Abfallentsorgung, was alles einen Einfluss auf die Menge transportierter Güter hat.
Wir leben im digitalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts. Man könnte also annehmen, dass der Datenverkehr einen Teil des Güterverkehrs abgelöst hat. Tatsächlich?
Die Digitalisierung ändert an der Grundstruktur der zu produzierenden Endprodukte wenig. Mit dem Trend zu mehr Online-Shopping gewinnt die Logistik eher an Bedeutung und es ist davon auszugehen, dass auch der Lieferwagenverkehr weiter zunimmt. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht.
Im Zeitraum 2010 bis 2040 wächst laut Seco das BIP der Schweiz um 46 Prozent, der Güterverkehr 37 Prozent – warum wächst der Transport weniger schnell als die Volkswirtschaft?
Die Verkehrs- und die BIP-Entwicklung entkoppeln sich zusehends: Wichtigster Grund ist der Trend, dass ein Teil der transportierten Güter immer leichter und zugleich wertvoller wird. Auch gehen wir davon aus, dass der wirtschaftliche Strukturwandel hin zu mehr Dienstleistungen anhält. Dies unter anderem, weil der demografische Wandel zu einer grösseren Nachfrage im Gesundheitsbereich führt, und dieser wiederum ist kein Treiber des Gütertransports.
Die Schiene wächst schneller als die Strasse, warum?
Dafür ist nicht zuletzt die Verlagerungspolitik des Bundes verantwortlich. Hinsichtlich der Transportleistung bleibt die Strasse auch 2040 der bedeutendere Verkehrsträger, mit 22,4 Milliarden Tonnenkilometern (TKM) gegenüber 14,2 Milliarden TKM auf der Schiene. Aber die Schiene gewinnt Marktanteile hinzu. Der stärker steigende Auslastungsgrad auf der Schiene und stärker steigende Transportkosten für den Strassengüterverkehr begünstigen die Verlagerung. Ausserdem könnte die Schiene von der zunehmenden Bedeutung der Stück- und Sammelgüter profitieren, für die der kombinierte Verkehr eine attraktive Alternative zum reinen Strassentransport sein kann. Eine dämpfende Wirkung auf den Schienengüterverkehr hingegen hat der gemäss Energieperspektiven des Bundes erwartete Transportrückgang von fossilen Energieträgern wie Erdöl – aus energiepolitischer Sicht ist dies aber natürlich zu begrüssen.
«Mit den heutigen Infrastrukturen werden wir das Wachstum nicht auffangen können», schreibt Bundesrätin Doris Leuthard im Vorwort zu den Verkehrsperspektiven 2040. Welche Infrastrukturprojekte sind nötig?
Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im letzten Jahr konnte ein wesentlicher Meilenstein gesetzt werden. Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels in drei Jahren wird die NEAT in der Schweiz realisiert sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch der Ausbau der Zufahrtsstrecken im Norden und im Süden, der teilweise bereits im Gang ist.
Das Bundesamt für Verkehr plant den Bahn-Ausbauschritt 2030/35. Was ist für den Güterverkehr zu erwarten?
Es hat sich gezeigt, dass zusätzliche und teilweise auch beschleunigte Güterverkehrstrassen vor allem auf der West-Ost-Achse sowie neue Güterverkehrsanlagen notwendig sind. Der Bundesrat wird die Botschaft für den Ausbauschritt 2030/35, in dem die entsprechenden Massnahmen aufgeführt sind, im Herbst 2017 in die Vernehmlassung geben.