Beide haben ihr Amt im Coronajahr übernommen, beide wollen die langjährige Zusammenarbeit weiter festigen: Holcim-CEO Simon Kronenberg und Cargo-Chefin Désirée Baer im Gespräch.
Herr Kronenberg, wir befinden uns in Hüntwangen, dem grössten Kieswerk der Schweiz und einem wichtigen Bahntransport-Hub für Holcim. Wie stark hat sich die Coronakrise hier auf den operativen Alltag ausgewirkt?
Simon Kronenberg: Es ist auch für uns ein ausserordentliches Jahr. Höchste Priorität hatte zu Beginn der Krise selbstverständlich der Schutz unserer Mitarbeitenden. Wir haben früh reagiert und die notwendigen Massnahmen eingeleitet. Schnell und effizient gehandelt haben aus meiner Sicht auch das Bundesamt für Gesundheit mit klaren Vorgaben sowie der Baumeisterverband, der rasch einen sinnvollen Fünf-Punkte-Plan zur Krisenbewältigung auf den Schweizer Baustellen erarbeitete. Grösstenteils konnten die Baustellen fast durchgehend in Betrieb bleiben. Unser operativer Betrieb funktionierte weiterhin, mit wenigen Ausnahmen im Tessin und in der Romandie.
Sie selbst haben den CEO-Stab von Holcim Schweiz erst im Oktober von Ihrem Vorgänger Nick Traber übernommen. Wie fühlt es sich an, im «verrückten» Coronajahr ein solches Executive-Amt zu übernehmen?
Kronenberg: Ich übernehme das Amt in einer herausfordernden, aber äusserst spannenden Zeit. Was ich schon jetzt sicher sagen kann: Es ist ein Jahr, in dem wir alle viel gelernt haben. Als Unternehmen haben wir uns sehr schnell auf die veränderten Umstände eingestellt, konnten die digitalen Prozesse auf allen Ebenen schnell hochfahren und weiter verbessern. Auch die Umstellung auf Homeoffice hat bestens funktioniert. Und selbstverständlich nimmt man auch auf persönlicher Ebene sehr viel mit aus einer solchen Extremsituation.
Frau Baer, auch Sie haben im März 2020, also kurz vor dem Lockdown, den CEO-Posten bei SBB Cargo angetreten.
Désirée Baer: Natürlich stellt man sich den Start nicht so vor. Gerne hätte ich mir Zeit genommen für zahlreiche persönliche Gespräche mit Kunden, um gemeinsame Projekte und Herausforderungen zu besprechen. Aber wir konnten schnell reagieren: mit organisatorischen Massnahmen zum Schutz der Mitarbeitenden und mit flexiblen Angebotsanpassungen, um auf geänderte Kundenbedürfnisse zu reagieren.
Gewisse Kunden von SBB Cargo erlebten während des Lockdowns einen Boom. Wie konnte man hier helfen?
Baer: Richtig, etwa die Post und verschiedene Kunden im Detailhandel kamen mit ihren Lieferungen kaum mehr nach, weil es zu Beginn der Pandemie zu Hamsterkäufen und einem massiven Boom im Online-Shopping kam. Hier konnten wir innert kürzester Frist mit den Kunden individuelle und innovative Lösungen erarbeiten. Wir haben diesen Frühling aus meiner Sicht Eigenschaften unter Beweis gestellt, die man uns oft nicht gibt: nämlich Geschwindigkeit und Flexibilität.
Wünschenswert wären mehr Bedienpunkte für die Feinverteilung.
Simon Kronenberg, CEO Holcim Schweiz und Italien
Herr Kronenberg, wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Partnerschaft mit SBB Cargo?
Kronenberg: Wir blicken auf eine langjährige, bewährte Zusammenarbeit mit SBB Cargo zurück – mit zahlreichen Erfolgsstorys, die wir zusammen auf Grossbaustellen geschrieben haben. Wir schätzen es, dass wir für aktuelle Herausforderungen wie etwa die Verlagerung des Gütertransports von der Strasse auf die Schiene gemeinsam Lösungen entwickeln können. Gegenwärtig transportieren wir mit der Bahn hier ab Hüntwangen eine Million Tonnen Kies pro Jahr, was 70 Prozent des Gesamtvolumens entspricht.
Beim Zement übernimmt die Bahn zurzeit 40 Prozent der Transporte für uns. Wir würden hier gerne noch ausbauen, weil das Thema Nachhaltigkeit bei Holcim weit oben auf der Agenda steht. Wünschenswert wären noch mehr Bedienpunkte, die es erlauben, auch die Feinverteilung von Zement und Kies noch konsequenter auf die Schiene zu bringen.
Das übergeordnete Ziel ist eine konsequente Effizienzsteigerung via Digitalisierung und Automatisierung.
Désirée Baer, CEO SBB Cargo
Mit welchen Massnahmen will SBB Cargo die Kunden noch stärker auf die Schiene bringen?
Baer: Die Forderung von Kundenseite, Bedienpunkte zeitnah zur Verfügung zu stellen, ist absolut nachvollziehbar; jedoch mit erheblichen Kosten verbunden. Wir versuchen, bei allen Kunden stets die gesamte Transport- und Wertschöpfungskette zu betrachten und diese nach gemeinsam realisierbaren Verbesserungspotenzialen zu untersuchen. Unser wichtigster Ansatz ist die Automatisierung. Gerade im Wagenladungsverkehr wird bis heute manuell gekuppelt. Das hat gleich zwei Nachteile. Einerseits einen Zeitverlust für den Kunden, andererseits binden diese Arbeitsschritte menschliche Ressourcen, was die Kosten treibt. Wenn also Kupplungsprozesse, Bremsproben und auch das Prüfen voll automatisiert werden können, profitieren beide Seiten erheblich. Auf dieses Ziel arbeiten wir hin.
Also eine Art Bringschuld von SBB Cargo?
Baer: Keineswegs, die Automatisierung kann nur gemeinsam mit den Kunden und Wagenhaltern erreicht werden, wenn auch sie ihre Technologien und Bahnwagen entsprechend auf- und ausrüsten. Es muss also eine gemeinsam getragene Strategie sein, die Investitionen von allen erfordert. Das ist auch der Grund, weshalb wir im Moment noch nicht so weit sind, wie wir möchten. Die finanziellen Investitionen sind für alle Parteien sehr hoch. Um diesen «Big Bang» zu realisieren, ist auch die Politik gefordert, und zwar über die Schweizer Grenzen hinaus.
Ist Holcim Schweiz bereit, eine verbesserte Automatisierung im Wagenladungsverkehr mitzutragen?
Kronenberg: Holcim treibt Innovationen im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung stark voran – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bei der Logistik arbeiten wir schon heute eng mit SBB Cargo zusammen. Natürlich gibt es noch viel Potenzial für mehr Gemeinsamkeiten und weitere Verbesserungen. Der Ausbau der Transportkapazitäten auf der Schiene ist für Holcim Schweiz von zentraler Wichtigkeit, weil die Nachhaltigkeit bei uns eine der höchsten strategischen Prioritäten geniesst.
Zeigt sich dies auch im eigenen Wertstoffkreislauf? Welche nachhaltigen Verbesserungen konnten Sie hier zuletzt erzielen?
Kronenberg: Wir optimieren auf allen Stufen: Das beginnt bei der ständigen Suche nach alternativen Rohmaterialen und Brennstoffen. 2018 haben wir den weltweit ersten ressourcenschonenden Zement lanciert, der aus Mischabbruchmaterial aus Rückbauobjekten besteht. Zudem produzieren wir einen Beton, der sämtliche Aspekte des geschlossenen Baustoffkreislaufs erfüllt und CO2-Emissionen reduziert. Insgesamt haben wir den CO2-Ausstoss seit den 90er-Jahren um 30 Prozent reduziert. Und bis 2050 will Holcim Schweiz klimaneutrales, rezyklierbares Baumaterial produzieren.
Was kann SBB Cargo im Bereich Nachhaltigkeit bieten?
Baer: Wir fahren heute dank den SBB eigenen Wasserkraftwerken bereits zu 90 Prozent mit erneuerbaren Energien, bis 2025 sind 100 Prozent angestrebt. Bis 2030 will zudem die gesamte SBB und auch wir als Tochtergesellschaft vollständig klimaneutral unterwegs sein. Um dies zu erreichen, müssen die Bundesbahnen die heute verbrauchte Gesamtenergie noch um 30 Prozent senken, was sicher eine sportliche Aufgabe ist. Dieses Sparziel entspricht dem Energiejahresverbrauch von 212 000 Haushalten. Viel Potenzial versprechen wir uns von einem ökonomischeren Einsatz der Loks. Dazu werden zurzeit Probefahrten mit einer Hybridlok gemacht.
Schlussfrage an beide. Was erwarten Sie vom Jahr 2021?
Kronenberg: Ich bin überzeugt, dass wir aus dem Jahr 2020 viele lehrreiche Erfahrungen in die Zukunft mitnehmen werden. Für 2021 sind die Prioritäten klar gesetzt: Unsere Roadmap in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden wir stringent weiterverfolgen. Was die kurz- und mittelfristige Auftragslage in der Schweiz betrifft, bin ich zuversichtlich. In der Zeitspanne 2022 bis 2025 sind verschiedene grössere Infrastrukturprojekte geplant, die uns interessante Wachstumsmöglichkeiten bieten.
Baer: Wir möchten unserem übergeordneten Ziel einer konsequenten Effizienzsteigerung via Digitalisierung und Automatisierung auch im Jahr 2021 mit aller Kraft näherkommen. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Strasse, an der sich unser Unternehmen Tag für Tag zu messen hat. Wichtig ist uns auch, dass wir in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden über den Transport hinaus mehr Synergien in der gesamten Produktions- und Wertschöpfungskette ausspielen können. Zu guter Letzt erwarte ich vom Bund auch eine Klärung der politischen Vorgaben. Man erwartet von uns, dass wir mit zukunftsgerichteten und innovativen Angeboten die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene weiter beschleunigen. Dies muss jedoch gemäss Bundesratszielen für die SBB eigenwirtschaftlich sein, was die Verlagerung einschränken kann.
Foto: Daniel Winkler