Die Geschichte des Tunnelbaus am Gotthard reicht weit zurück. In einer kleinen Blogserie porträtieren wir einige Vordenker. Alfred Escher (1819 bis 1882) dürfte der umstrittenste Pionier der ersten Eisenbahnverbindung durch den Gotthard sein.
Schon zu Lebzeiten führte Alfred Escher, geboren am 20. Februar 1819 in Zürich und dort am 6. Dezember 1882 auch gestorben, im Volksmund den Beinamen «König der Schweiz». Und das war nicht nur Ausdruck von Bewunderung, sondern auch von Kritik an seiner Machtfülle. Kaum 30jährig, wurde der Jurist, der aus der alten und einflussreichen Zürcher Familie Escher vom Glas stammte, in höchste Ämter gewählt: Staatsschreiber, Nationalrat und später Zürcher Regierungsrat.
Und bald war er auch als Unternehmer erfolgreich, gründet eine private Eisenbahngesellschaft, die erste Grossbank der Schweiz – die spätere Credit Suisse – sowie mehrere Versicherungen. Und er war massgeblich an der Errichtung der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) beteiligt.
«Von allen Seiten nähern sich die Schienenwege immer mehr der Schweiz. Es tauchen Pläne auf, gemäss denen die Bahnen um die Schweiz herumgeführt werden sollen. Die Schweiz droht somit Gefahr, gänzlich umgangen zu werden und infolgedessen in der Zukunft das traurige Bild einer europäischen Einsiedelei darbieten zu müssen.»
Mit diesen Worten warnte Alfred Escher Ende 1849, dass das Land den Anschluss an die Moderne verpassen könnte. Nicht ohne Grund, denn während im Ausland die Zahl der Eisenbahnkilometer stetig zunahm, war die Schweiz in dieser Beziehung ein rückständiges Land.
Das von Escher vorangetriebene Eisenbahnprojekt wurde deshalb zur Schicksalsfrage im 1848 gegründeten Bundesstaat. Über die Notwendigkeit des Schienenverkehrs war man sich zwar im Grunde einig, stritt sich aber über die konkrete Umsetzung.
1852 verhalf Escher dem Eisenbahngesetz zum Durchbruch, das ganz seinen Vorstellungen folgte: Bau und Betrieb der Bahn wurden privaten Gesellschaften überlassen. In der Folge erlebte die Schweiz einen Schienenboom. In kürzester Zeit entstanden konkurrierende Eisenbahngesellschaften, so etwa 1852/53 die Schweizerische Nordostbahn, der Escher vorstand.
Der verkehrstechnische Rückstand gegenüber dem Ausland konnte so in kurzer Zeit aufgeholt werden. Doch eine Nord-Süd-Verbindung fehlte noch. Nachdem Alfred Escher zunächst eine Alpentransversale beim Lukmanier favorisiert hatte, änderte er dann seine Meinung und unterstützte das entstehende Gotthard-Projekt.
Für die Durchführung dieses ambitionierten Vorhabens warf Escher seine gesamten wirtschaftlichen und politischen Machtmittel in die Waagschale. Er konsultierte Ingenieure und andere Fachleute, führte Verhandlungen mit Schweizer und ausländischen Behörden. An der Internationalen Gotthardkonferenz im Herbst 1869 fiel die endgültige Entscheidung zugunsten der Gotthardlinie. 1871 wurde dann die Gotthardbahn-Gesellschaft gegründet, die Escher präsidierte.
Der Workaholic setzt seine ganze Energie für die Verwirklichung seines Lebenswerks ein – und nahm dafür grosse persönliche Opfer in Kauf. Mit seinem Arbeitseifer ruinierte er seine Gesundheit, Freundschaften zerbrachen und auch sein Familienleben wurde von Schicksalsschlägen heimgesucht.
Am Ende stand die Vollendung des damals längsten Tunnels der Welt am Gotthard. Doch der Mann, der dieses Jahrhundertbauwerk vorangetrieben hatte, wurde nach dem Durchstich nicht einmal zur Feier in Luzern eingeladen.
Die Alfred Escher-Stiftung veröffentlichte Anfang Juli eine digitale Briefedition und erlaubt damit neue Einblicke in das Leben des Vordenkers mit all seinen Widersprüchen.
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