In einer kleinen Blogserie porträtieren wir einige der Vordenker des Tunnelbaus am Gotthard. Heute an der Reihe ist Louis Favre (1826 bis 1879), der Genfer Bauunternehmer: ihm brachte der Gotthardtunnel von 1882 (Bergstrecke) kein Glück.
Sein grösster Triumph war auch seine grösste Niederlage: Als am 29. Februar 1880 im Gotthard-Massiv der Durchbruch zum damals längsten Eisenbahntunnel der Welt erfolgte, war Louis Favre schon einige Monate tot und seine Firma längst pleite. Denn als der gelernte Zimmermann und Bauunternehmer aus Genf sich am 7. August 1872 den Auftrag für dieses Mammutprojekt gegenüber sechs Mitbewerbern sicherte, versprach er eine Bauzeit von acht statt neun Jahren sowie Baukosten von 56 Mio. Franken – ein um 12,5 Mio. Franken günstigeres Angebot als der Nächstbietende.
Sollte die Bauzeit kürzer sein, wurde ihm eine Prämie von 5000 Franken pro Tag zugesagt. Sollte sich die Fertigstellung dagegen verzögern, musste der Bauingenieur eine Strafe von ebenfalls täglich 5000 Franken bezahlen. Bei mehr als sechs Monaten Fertigstellungsverzug sollte sich die Verzugsstrafe sogar auf 10‘000 Franken pro Tag erhöhen.
Das Meisterwerk wurde sogar erst mit zehnmonatiger Verspätung vollendet. Grund dafür waren technische und geologische Probleme, gerichtliche Auseinandersetzungen mit der finanzierenden Bank und der Baudirektion der Gotthardbahngesellschaft sowie ein blutig niedergeschlagener Streik der italienischen Tunnelarbeiter.
Die vereinbarte Konventionalstrafe trieb Favres Familie in den finanziellen Ruin. Er selbst war bereits einige Monate vorher bei einem Kontrollgang im Tunnel an einem Riss in der Bauch-Aorta gestorben. Mindestens 177 Menschen kamen auf der Riesenbaustelle ums Leben, bei Wassereinbrüchen und mehrfachem Einsturz der Tunneldecke.
Pläne für den 15 Kilometer langen Gotthard-Tunnel, der 1882 offiziell in Betrieb genommen wurde, hatte es schon länger gegeben. 1869 erklärten sich Italien und Deutschland in einem Staatsvertrag mit der Schweiz bereit, sich an dem Mammutprojekt finanziell zu beteiligen und die internationale Ausschreibung, die der Draufgänger Louis Favre für sich entschied, konnte starten.
«Halten Sie meine Lampe», sollen seine letzten Worte gewesen sein, als er im Tunnel zusammenbrach und starb. Sieben Monate später schob man durch einen kleinen Spalt zwischen den beiden Tunnelenden eine Blechbüchse mit einem Bild des Erbauers, der als «Eisenbahnpionier am Gotthard» in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Auf dessen Rückseite stand in französischer Sprache: «Wer wäre würdiger, als erster hindurch zu gehen. Er war unser Meister, Freund und Vater. Viva il Gottardo!»
Teil 1: Alfred Escher
Foto: Keystone