ITJ-Korrespondentin Anitra Green über den Gotthard und Erkenntnissen zur Gestaltung von Rollenden Landstrassen auf Kurzstrecken.
Quelle: ITJ, veröffentlicht 17.7.2015
Am Anfang war die Alpen-Initiative. 1994 wurde beschlossen, den Lkw-Verkehr durch den Gotthard-Strassentunnel in der Zukunft auf 650 000 Einheiten pro Jahr zu halbieren. Angesichts aktuell mehr als doppelt so hoher Zahlen und weiter steigendem Frachtaufkommen gibt es Pläne für eine Anpassung dieses Ziels – gegen den Widerstand der Initiative Alpenschutz. Selbst ohne die avisierte Schliessung des Gotthard-Tunnels über fünf Jahre Grund genug für einen Blick auf das Potenzial, das die Schiene bietet.
Neue Rola mit Einstiegspunkten
Die naheliegende Möglichkeit, diese Schliessung bis zum Bau des zweiten Strassentunnels zu verschieben, scheidet wegen des geplanten Referendums der Schweizer zu diesem 3 Mrd. CHF-Projekt aus, das im nächsten Jahr stattfinden soll. Da aber der Gotthard-Basistunnel für den Schienenverkehr bis Ende 2016 in Betrieb geht und die Bergstrecke für den Regionalverkehr und sonstige Dienstleistungen offen bleibt, gibt es Pläne für einen Bahn-Shuttle auf dieser Strecke.
Die nach dem BAV beste Option besteht in einer Rollenden Landstrasse für Lkw (Rola) durch den Gotthard-Basis-Tunnel zwischen Rynächt/Altdorf und Biasca. Ralpin bietet diesen Dienst bereits erfolgreich an, zwischen Freiburg im Breisgau (Deutschland) und Basel nach Novara über den Lötschberg und nach Lugano über den Gotthard. Auf Basis dieser Erfahrung liesse sich ein ähnlicher, weitaus kürzerer Dienst über den Gotthard einrichten, mit zwei oder drei Einstiegspunkten auf der Strecke, um Ladezeiten zu verkürzen. Für Privatwagen bietet BLS ganzjährig den Dienst über den Lötschberg zwischen Kandersteg und Goppenstein ein und könnte auch am Gotthard aktiv werden.
Rentable Kurzstrecken
Beide Dienste werden allerdings nur dann richtig funktionieren, wenn Laufzeiten und Frequenz stimmen, um unannehmbar lange Stauungen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf die Analysen von Innovatrain, einem Kompetenzzentrum für die Entwicklung von intermodalen Systemen für zeitkritische Güter auf kurzen Strecken. Es konzentriert sich vor allem auf dicht besiedelte Gebiete, wo der Platz für Umschlag und Zwischenlagerung von Fracht ebenso wie lokale Eisenbahnanlagen begrenzt sind. Im Gegensatz zum Merksatz, dass sich der intermodale Verkehr erst über Distanzen ab 500 km Länge rentiert, hat Innovatrain belegt, dass das in der Schweiz ab einer Entfernung von weniger als 150 km möglich ist. Der Erfolg des Systems beruht auf präziser Planung, sorgfältiger Standortwahl der Hubs, gutem Timing, der richtigen Ausstattung und dem eigenen Schnell-Umlade-System Container Station 3000 für Teu und Wechselbehälter. Grosse Einzelhandelsketten und Verlader wie Coca-Cola, Nestle oder die Post wenden sich angesichts der chronischen Staus auf Hauptverkehrsachsen zunehmend dem intermodalen Verkehr zu.
Noch befinden sich die Ausweichpläne für die Gotthardstrecke im Planungsstadium. Und bislang ist die Frage unbeantwortet, ob Lkw-Unternehmer dauerhaft von Schienen-Lösungen – auch über die Tunnelschliessung hinaus – überzeugt werden können.