Weniger Stau, pünktlichere Auslieferungen und ein gehaltenes Nachhaltigkeitsversprechen: Seit Frühjahr 2018 transportiert die Migros sämtliche Produkte vom nationalen Verteilbetrieb Neuendorf in die Betriebszentrale der Migros Ostschweiz in Gossau SG mit SBB Cargo. Wir haben ein typisches Winterprodukt auf seiner Bahnreise begleitet.
Mit schnellen Schritten schreitet er die sechs Bahnwagen entlang, schiebt jede Tür auf, steckt den Kopf hinein, lässt den Blick über die Paletten schweifen und geht weiter. Im zweitvordersten Wagen wird er fündig: «Hier sind die Schneeschaufeln!» Adrian Stickel ist die erste Person, der die Schaufeln – unser ausgewähltes Produkt – an diesem Morgen in der Betriebszentrale der Migros Ostschweiz in Gossau SG begegnen. Die Nacht haben sie in einem Bahnwagen von SBB Cargo zusammen mit weiteren Non-Food-Produkten der Migros verbracht. Auf ihrer Reise vom nationalen Verteilbetrieb der Migros im solothurnischen Neuendorf in die Filiale Amriswil im Kanton Thurgau ist die Betriebszentrale Gossau die einzige Zwischenstation.
Es ist ein ruhiger Empfang, von Hektik keine Spur, ein Mittwoch, kein Freitag. «Freitags ist hier immer viel mehr los», sagt Stickel. Der Leiter Spedition der Migros Ostschweiz weiss, wovon er spricht: «An Spitzentagen kommen bis zu sechzig Bahnwagen von verschiedenen Auslieferorten bei uns an, dann wird es schon hektisch, und wir müssen die Kapazitäten sehr gut planen, damit wir nicht an unsere Kapazitätsgrenzen stossen.» Gut, dass hier ein eingespieltes Team am Werk ist. Noch während Stickel erzählt, beginnt einer der Logistiker nämlich bereits damit, die Palette mit den Schneeschaufeln per Gabelstapler in die Halle zu fahren. Hier wird sie für den Weitertransport in die Filiale bereitgestellt.
Nur noch auf Schienen
Sechzig Bahnwagen pro Tag, 1,4 Millionen an- und ausgelieferte Paletten im Jahr sowie mehr als 230 Supermärkte, Fachmärkte, Gastronomiebetriebe, Freizeitanlagen und Klubschulen, die es zu beliefern gilt: Die Betriebszentrale Gossau ist die Drehscheibe der Migros Ostschweiz. Sie versorgt Filialen in sieben Kantonen und im Fürstentum Liechtenstein. Tiefkühlwaren und Non-Food-Produkte erhält die Migros dabei direkt aus dem Verteilbetrieb Neuendorf. Seit Frühjahr 2018 finden diese Transporte vollumfänglich auf der Schiene statt. «Damit konnten wir einerseits die Qualität der Anlieferzeiten verbessern, weil unsere LKW-Fahrer nicht mehr stundenlang im Stau stehen», erklärt Daniel Balmer, seit zehn Jahren Leiter Transportlogistik der Migros Ostschweiz. Anderseits sei der Bahntransport mit SBB Cargo sehr stabil, ökologischer und nachhaltiger als der Transport auf der Strasse: «Damit kommt die Migros einem ihrer Versprechen aus dem Programm ‹Generation M› nach.»
Immer offen für Neues
Balmer sitzt in seinem Büro, von wo aus er auf die An- und Auslieferhalle hinunterblicken kann. Obwohl er uns während unseres Besuchs auch in der Verladehalle herumführt, hat er für gewöhnlich wenig mit dem operativen Geschäft zu tun. «Ich bin froh, dass die Abteilungsleiter und ihre Teams so gute Arbeit leisten. So kann ich mich vor allem auf strategische Fragen konzentrieren», sagt der langjährige Migros-Mitarbeiter. Er mag es, kreativ zu sein, bestehende Konzepte zu überprüfen und neue Transportstrategien, insbesondere Transportnetzwerke, zu entwickeln.
Häufig geschieht dies in enger Zusammenarbeit mit SBB Cargo. Regelmässig stellt sich die Migros Ostschweiz für Pilotprojekte zur Verfügung, beispielsweise um neue Bahnwagen zu testen. Balmer findet: «Etwas Neues muss man irgendwann ausprobieren, um zu sehen, ob es funktioniert.» Zudem spürten seine rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Innovation und könnten sich frühzeitig und vor Ort damit befassen, was sehr wichtig sei. Balmer selbst hat 1985 bei der Migros angefangen und sich fast von Beginn weg mit Logistikthemen beschäftigt, die heute unter den Begriff «Digitalisierung» fallen würden. Die Zusammenarbeit mit SBB Cargo erachtet er als sehr gut, «und zwar sowohl was das Tagesgeschäft anbelangt als auch die strategischen Entwicklungen».
90 000 Paletten zusätzlich
Und was ist mit den Mitarbeitenden an der Front, merken sie überhaupt etwas von der Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene? «Ja klar», entgegnet Balmer, «schliesslich verladen sie nun jährlich 90 000 Paletten mehr als bisher.» Über zu viel Arbeit beklagen sich die Logistiker trotz der grösseren Transportmengen nie, im Gegenteil: Sie scheinen Spass an ihrem Job zu haben. Dieser Eindruck entsteht, wenn wir ihnen in der Halle dabei zusehen, wie sie die kleinen elektrischen Gabelstapler schnell und scheinbar mühelos von A nach B manövrieren. Das Schauspiel erinnert ein wenig an Putschauto-Fahren auf einer «Chilbi» – nur geordneter und ohne «Putschen», denn Orhan Akaydar und seine Kollegen sind schlicht zu geübt im Umgang mit ihren Gabelstaplern. «Kollisionen gibt es keine, notfalls können wir ja hupen», meint der Logistiker und lacht. Überhaupt sei das Fahren mit den Gabelstaplern gar nicht so schwierig: «Wenn du es mal draufhast, ist es kein Problem mehr.» Sagt’s und kurvt bereits die nächste Palette mit dem schnellen Transporthelfer durch die Gänge.
Gabelstapler zu steuern, bereitet Akaydar also keine Mühe mehr, obwohl er erst seit einigen Monaten in der Spedition tätig ist. Zuvor war er als LKW-Fahrer acht Jahre lang mit einem wesentlich grösseren Gefährt unterwegs. «Mir gefällt es in der Spedition, weil es nie langweilig wird und jeder Tag anders ist», sagt Akaydar. Ob es denn andere Herausforderungen gebe bei seiner Arbeit, wollen wir wissen. «Dass wir die Zeiten einhalten und die Waren so schnell wie möglich ausladen müssen, ist manchmal schon stressig.» Auch er verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf den Freitag, wenn die grossen Mengen angeliefert werden. Der Grund dafür ist übrigens, dass die Migros-Filialen ihre Verkaufsaktionen jeweils am Dienstag starten und deshalb die Auslieferung der Produkte von Gossau aus am Freitag zuvor erfolgen muss.
Reger Austausch zwischen Rangierern
Zurück zu den Schneeschaufeln. Inmitten von Paletten mit Mineralwasser, Bohrmaschinen, Toilettenpapier und sonstigen Non-Food-Produkten warten sie darauf, dass die Reise weitergeht. Knapp 14 000 Schneeschaufeln hat die Migros im letzten Winter in der ganzen Schweiz verkauft. Falls dieses Jahr ähnlich viel Schnee fällt wie im Vorjahr, dürfte die Nachfrage nach den roten und schwarzen Werkzeugen mit den Holzstielen in den kommenden Wochen wieder steigen. Dann werden sich weitere Schaufeln vom Verteilbetrieb Neuendorf auf den Weg in Richtung Ostschweizer Migros-Filialen machen und knapp drei Stunden mit dem Zug durch die Schweiz nach Gossau fahren, ehe sie von Adrian Stickel und seinen Leuten frühmorgens umgeladen werden.
Am Bahnhof Gossau, unweit der Migros-Betriebszentrale Gossau gelegen, kümmert sich das Rangierteam von SBB Cargo um die ankommenden Güterzüge. Hier werden auch die Züge aus Neuendorf «verarbeitet», wie Teamleiter Andreas Giezendanner es nennt. Gemäss Umschlagsplanung der Migros werden die Wagen hier neu zusammengestellt und gruppenweise in die Betriebszentrale hinübergeschickt. Anschliessend holen die SBB-Rangierer die Leerwagen wieder ab. Die enge Zusammenarbeit verlangt eine gute Kommunikation. «Wir stehen in regem Austausch mit dem Rangierteam der Migros», erklärt Giezendanner, «die Zusammenarbeit ist sehr angenehm.» Das gilt auch für die letzten Monate, als die Verantwortlichen die Rangierabläufe aufgrund der Umstellung auf den Schienentransport anpassen mussten. «Der Mehrverkehr erforderte viel Planung, aber für uns ist er super: je mehr, desto besser», meint Giezendanner lachend.
Sicher ans Ziel
Und dann heisst es für die Schneeschaufeln Abschied nehmen von Gossau, gut zwei Stunden nach ihrer Ankunft. Der Tag ist noch jung, es ist kurz vor neun Uhr. Die letzten Kilometer legen sie per Lastwagen zurück, weil die Migros-Filialen keinen Bahnanschluss haben. Am Steuer sitzt Kurt Hefti. 42 Jahre ist der gebürtige Thurgauer bereits auf den Strassen unterwegs, die letzten 20 als LKW-Fahrer für die Migros. «Man erlebt viel, wenn man immer herumfährt», sagt Hefti und steuert das schwere Vehikel in Richtung Hauptstrasse. Er habe aber Nerven wie Drahtseile, sodass ihn mittlerweile nicht einmal mehr die aggressive Fahrweise anderer Verkehrsteilnehmer aus der Ruhe bringen könne. Man glaubt es ihm. Hefti spricht ruhig und mit Bedacht. Er ist es offenbar nicht gewohnt, einen Gesprächspartner neben sich im LKW zu haben. «Ich mag die Stille am frühen Morgen und bin gerne alleine unterwegs», erklärt er denn auch. Dass er jetzt, da die LKW-Fahrer die Waren nicht mehr im Verteilbetrieb Neuendorf abholen müssen, viel seltener im Stau steht als früher, ist für Hefti ein grosses Plus. «Zudem ist es so viel schöner, denn wir können mehr Waren transportieren und der LKW ist voller.» Halb leer, betont der Chauffeur, fahre man ja nicht gerne.
Wie die Schneeschaufeln den Abschluss ihrer Reise im Laderaum des Lastwagens erlebt haben, wissen wir selbstverständlich nicht. Fest steht, dass sie ihr Ziel, die Migros-Filiale in Amriswil, an diesem Mittwoch sicher und pünktlich erreichen.