Prof. Dr. Ing. Martin Cichon leitet das Institut für Fahrzeugtechnik an der Technischen Hochschule Nürnberg. Im Bereich Schienengüterverkehr beschäftigt sich das Institut unter anderem mit der CO2-Verminderung der Antriebstechnik sowie mit dem assistierten und automatisierten Rangieren.
Welches sind die wichtigsten Trends im Güterverkehr?
Wenn der Güterverkehr gegenüber der Strasse Marktanteile gewinnen soll, muss er leiser, pünktlicher und schneller werden. Die Kunden wünschen heute eine Just-in-Time-Logistik, die auch schnell sein soll. Nächtliche Transporte sind deshalb bedeutend, werden aber von der Bevölkerung nur akzeptiert, wenn sie nicht laut sind.
Was kann die Technik hier bieten?
Die Informationsverarbeitung muss durchgängiger werden. Die Informationskette hat noch zu viele Brüche, die manuell verarbeitet werden. Das einzelne Fahrzeug sollte in Zukunft viel mehr Informationen selbstständig melden und verarbeiten. Diese Daten lassen sich dann mit der Logistikplanung verknüpfen, damit besser disponiert werden kann.
Manuelle Prozesse verunmöglichen zudem Skaleneffekte: Mehr Güterverkehr erhöht den Aufwand im gleichen Mass. Deshalb ist Automatisierung wichtig. Diese kann auch dazu beitragen, körperlich anstrengende Arbeiten zu reduzieren. Das erhöht die Attraktivität der Arbeitsplätze. Zu beachten ist in jedem Fall, dass Logistik ein System mit vielen Interaktionen ist. Eine punktuelle Neuerung ist deshalb nicht zwingend eine Verbesserung. Dies zeigt sich sehr gut am Beispiel leiser Güterwagen: Besteht ein Zug jeweils zur Hälfte aus lärmenden und aus leisen Wagen, wird der Zug als fast genauso laut wahrgenommen wie ohne Anteil leiser Wagen.
Worauf ist bei Neuerungen zu achten?
Es ist vorteilhaft, wenn Investitionen in Technik von Anfang an rentieren, nicht erst wenn 90 Prozent der Flotte damit ausgerüstet sind. Eine führerlose Rangierlok mit Kamera- und Kollisionswarnsystem beispielsweise lohnt sich ab dem ersten Stück. Eine automatische Mittelpufferkupplung an Güterwagen hingegen rentiert erst, wenn eine grössere Anzahl Wagen damit ausgerüstet ist. Ein weiterer Punkt: Wer bei Innovationen frühzeitiger Anwender («Early Adopter») ist, läuft Gefahr, ins Leere zu laufen, wenn sich die Technik anders entwickelt. Deshalb ist es wichtig, Nachahmer zu suchen und Kooperationen einzugehen. Für den unternehmens- und grenzüberschreitenden Verkehr müssen rechtzeitig Standards gefunden werden. Wenn man hier zu lang wartet, sinkt die Bereitschaft, vom eigenen Standard abzuweichen.
Welches ist der Stellenwert des Menschen?
Mir scheint es wichtig, Prozesse nicht vollständig zu automatisieren. Wenn etwas nicht nach Plan läuft, muss der Mensch die Möglichkeit haben einzugreifen. Selbstlernende Systeme werden nicht so schnell kommen.
Martin Cichon (47) ist promovierter Maschineningenieur. Er arbeitete unter anderem bei der SLM Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik, Winterthur, und bei der Robert Bosch GmbH. 2014 wurde er als Professor für Fahrzeugtechnik an die Technische Hochschule Nürnberg berufen.