Wo sich Bahnfans und Kirchgänger ein Stelldichein geben

Die Kirche von Wassen ist eine Ikone der Gotthardbahn: Man bekommt sie auf der Durchfahrt mit dem Zug von unten, von der Seite und von oben zu Gesicht. Wie ist es, für diese berühmte Kirche zu arbeiten? Wir haben bei Sakristanin Rita Huggler und Pfarreisekretär Reinhard Walker nachgefragt.

Es ist ein steiler Weg, der in Wassen von der Postautostation zur Kirche hochführt. Und es ist nicht irgend ein Gotteshaus, sondern die berühmte Kirche von Wassen, Ikone der Gotthardbahn, die majestätisch oben auf dem Hügel thront. «Für alte Leute ist der Weg zur Kirche hinauf beschwerlich», sagt Pfarreisekretär Reinhard Walker (45) in seinem Büro, das sich im alten Pfarrhaus gleich neben der Barockkirche befindet. Deshalb werden auch regelmässig Gottesdienste unten im Dorf im Betagtenheim abgehalten.

Walker ist als Pfarreisekretär zuständig für das Pfarreiblatt und die Finanzen, und er führt nach einem Todesfall für den Pfarrer auch mal das Trauergespräch – ein vielfältiger Job also. Eigentlich wollte er Lokomotivführer werden. Er erinnert sich noch gut, wie in den siebziger Jahren der TEE-Zug in Gurtnellen durchfuhr, wo er aufwuchs. Als er realisierte, dass er für den Job als Lokführer eine Lehre als Maschinenmechaniker brauchte, entschied er sich für das KV. Später studierte er Kirchenmusik an der Fachhochschule, und er ist heute auch als Organist tätig.

Obschon gewöhnliche Gottesdienste wie andernorts auch nur wenige Leute anziehen, ist die Kirche in dem Dorf mit bloss 450 Einwohnern manchmal gut gefüllt. Es gibt viele Taufen. «Auch zahlreiche Auswärtige lassen ihre Kinder bei uns taufen», sagt er stolz. Ab und zu ist eine Hochzeit oder eine Kommunion angesagt. Andererseits zieht der Hügel auch viele Bahnfans an, die wegen der Aussicht auf die Gotthardstrecke herkommen. Man hat von hier einen perfekten Blick auf die Eisenbahnlinie, die bei Wassen in zwei Kehr- und einem Spiraltunnel wichtige Höhenmeter überwindet, bevor sie Richtung Göschenen entschwindet.

Kirche Wassen

Auch Sakristanin Rita Huggler (50) erfüllt es mit Stolz, für die Kirche von Wassen zu arbeiten. Sie ist dem Pfarrer behilflich, macht Lektorendienst und ist für den Friedhof zuständig. «Manchmal wird man halt auf die Arbeit in der Kirche von Wassen reduziert», sagt sie – aber damit kommt sie schon klar. Sie wohnt mit ihren zwei Kindern im oberen Stock des Pfarrhauses. «In Wassen wohnt die Sakristanin im Pfarrhaus, und der Pfarrer gleich daneben im Sigristenhaus», meint sie lachend. Viele Touristen, welche eigentlich wegen der Aussicht auf die Gotthardbahn kommen, schauen sich die im Jahr 1734 fertiggestellte Barockkirche von Innen an.

Huggler ist auch zuständig für das Läuten der Kirchenglocken. Wenn ein gebürtiger Wassener oder eine Wassenerin stirbt, läutet die Kirchenglocke dreimal fünf Minuten, ist es jemand Auswärtiges, zweimal fünf Minuten. Am Gebimmel stört sich kaum jemand: Als sie einmal vergass, das automatische Läuten für den Stundenschlag wieder einzuschalten -– ja da haben sich die Leute beschwert.

Wenn ab dem nächsten Jahr die meisten Züge durch den Gotthard-Basistunnel fahren, wird man das Läuten wieder besser hören, auch wenn das Brummen der Autobahn bleibt. Dass es vielleicht etwas weniger Rummel gibt um die Kirche von Wassen, das macht Rita Huggler und Reinhard Walker jedenfalls nichts aus.

 

Der Bau von Kehrtunnels am Gotthard stellte in der Schweiz eine Premiere dar. Im engen Reusstal konnten die Höhenmeter nicht durch Ausfahren der Seitentäler gewonnen werden, wie dies etwa bei der 1854 eröffneten Semmeringbahn in Österreich der Fall war. Projektskizzen sahen deshalb zunächst Spitzkehren, Zahnradbetrieb oder Seilrampen vor, die jedoch ein Umsteigen der Reisenden erfordert hätten.

Schliesslich kam man auf die bahnbrechende Idee, die Höhenmeter mit Kehrschlaufen im Berg zu überwinden, wie im Schweizer Kunstführer von Thomas Brunner «Wassen und seine Kirche» zu lesen ist. Die maximale Steigung auf der 1882 fertiggestellten Gotthardstrecke beträgt 25 Promille. Das Konzept mit den Kehrtunnels am Gotthard war Vorbild für andere Bahnen, wie etwa für die schmalspurige Albulastrecke der Rhätischen Bahn (1898-1904) und für die Lötschbergbahn im bernischen Kandertal (1906-1913).

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