Im Terminal Gossau SG verknüpft sich die Sieber-Gruppe mit SBB Cargo. Hier sprechen Michael Sieber und Nicolas Perrin über ihre noch junge Geschäftsbeziehung, logistische Perspektiven und erste Stolpersteine.
Michael Sieber, schon als Schüler sollen Sie und Ihr Bruder auf dem elterlichen Firmengelände Lastwagen manövriert haben. Was treibt jemanden mit so viel Diesel im Blut zur Bahn?
Michael Sieber: Die Geschichte stimmt. Das Geschäft unseres Vaters und unseres Onkels lag praktisch am Heimweg von der Schule. Wir haben übrigens auch beim Be- und Entladen von Lastwagen mitgeholfen. Heute aber sind wir längst nicht mehr nur ein Lastwagentransporteur, sondern ein global tätiger Logistikdienstleister. Auf den LKW entfällt etwa die Hälfte unseres Umsatzes. See- und Lufttransport sowie Lager- und Logistiktätigkeiten sind gleich wichtig.
Mit SBB Cargo fahren Sie erst seit anderthalb Jahren. Welchen Nutzen hat die Bahn?
Sieber: Im letzten Jahr sparte sie uns und der Umwelt 2753 Lastwagenfahrten sowie 565 Tonnen CO2 ein. Etwa sechs Prozent haben sich bereits von der Strasse auf die Schiene verlagert. Der Einsatz der Bahn hat eine längere Vorgeschichte. Es brauchte Zeit, bis unsere Bedürfnisse und die Angebote von SBB Cargo zusammenpassten und wir die richtigen Verkehre zur Schiene bringen konnten.
Wo steht Sieber Transport unter den Kunden von SBB Cargo?
Nicolas Perrin: Neukunde Sieber ist ein Ereignis, denn die Zahl der Neukunden ist überschaubar, da wir im Schweizer Markt bereits gut verankert sind. Dem Start geht stets eine gemeinsame Aufbauarbeit voraus. Bei der Sieber Transport AG setzte die Zusammenarbeit die Investition in einen Terminal für den kombinierten Verkehr in Gossau SG voraus; vorher gab es keinen solchen in der Ostschweiz. In der Westschweiz haben wir ebenfalls eine neue Lösung gefunden.
Ganz konkret: Wie funktioniert diese Zusammenarbeit heute, was macht sie attraktiv?
Sieber: Der Bahntransport von kranbaren Aufliegern zwischen der Ostschweiz und unseren Westschweizer und Tessiner Standorten hilft uns über das Nachtfahrverbot hinweg und befreit uns vom Stau am Gubrist und in Egerkingen. Die Bahn übernimmt die «Rennstrecke», der Lastwagen beschränkt sich auf den Vor- und Nachlauf. Um nicht im Stau stecken zu bleiben, müssten unsere Chauffeure sonst jeden Tag um fünf Uhr früh im Rheintal losfahren. Solche Arbeitszeiten machen den Beruf unattraktiv; unser Gewerbe leidet ohnehin unter Personalmangel. Das Zusammenspiel von Strasse und Schiene funktioniert und macht Spass.
Perrin: In einer immer stärker zusammenwachsenden Schweiz verbinden wir die Punkte planbar und effizient miteinander, auch über Nacht. Das ist ein Trumpf. Die Distanzen innerhalb des Landes sind zwar kurz, dichter Verkehr und Staus verlängern sie aber markant – gefühlt und tatsächlich. Unsere Leistungen müssen sich auf die Stärken der Schiene konzentrieren und diese mit anderen Verkehrsträgern verknüpfen. Hier in Gossau sehen wir ein Musterbeispiel. Aber das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft. Wir können den Kunden noch mehr bieten und noch besser werden.
Gab es Schwierigkeiten in der jungen Partnerschaft?
Sieber: Wir mussten lernen, dass auch SBB Cargo nicht unfehlbar ist. Es gab Startschwierigkeiten beim neuen Terminal in St-Triphon, die zeitnahe Kommunikation von Verkehrsstörungen oder Zugausfällen klappt nicht immer. Als Transporteur und Logistiker sind wir stets in einer Sandwichposition zwischen unseren Auftraggebern und den Endkunden. Für Staus auf der Strasse oder Probleme der SBB haben diese wenig Verständnis.
Bahntransport funktioniert anders als die Strasse. Da mussten Sie sicher etwas umdenken.
Sieber: Einiges war gewöhnungsbedürftig, ja. Der Lastwagen kann ohne Konsequenzen fünf Minuten später abfahren, die Bahn nicht. Mit dem LKW können wir eine Unfallstelle umfahren, die Bahn nicht. Dafür steht man mit der Bahn nicht im Stau. Man muss die unterschiedliche Transportlogik akzeptieren und offen und ehrlich mit ihr umgehen, dann geht’s.
Hier das familiengeführte und familieneigene KMU, dort der Güterzweig eines staatseigenen Grossunternehmens: Dies sind zwei ganz unterschiedliche Firmen und Kulturen. Nun will auch SBB Cargo stärker wie ein KMU funktionieren. Was lässt sich bei Sieber abschauen?
Perrin: KMU können uns vor allem mit ihren einfacheren Strukturen und Prozessen ein Vorbild sein. Eine Firma wie die Ihre, Herr Sieber, kann leichter gute Leistungen zu marktgerechten Preisen anbieten und rascher auf Veränderungen reagieren. Auch unserer Tochter SBB Cargo
International fällt dies leichter. Deshalb wollen wir uns mit der Muttergesellschaft in die gleiche Richtung entwickeln.
Michael Sieber, Ihr Rat an Nicolas Perrin?
Sieber: Ich ermutige Sie, diesen Weg zu gehen. Als familiengeführtes Logistikunternehmen können wir rascher entscheiden, müssen unsere Entscheide aber auch bis zum Ende persönlich verantworten. Wir würden gerne rascher neue Verkehre mit Ihnen aufbauen. Dies setzt aber natürlich auch voraus, dass an den Terminals die nötige Infrastruktur vorhanden ist. Etwas Sorgen bereitet mir, wenn im Sinne Ihrer Partnersuche einzelne grössere Mitbewerber näher an SBB Cargo herankämen und Aktionäre würden. Daraus könnten ihnen Vorteile erwachsen und uns Nachteile.
Perrin: Ich verstehe Ihre Bedenken; bei der Gründung von SBB Cargo International hatte ich sie ebenfalls. Inzwischen konnten wir dort beweisen, dass wir am Markt neutral sind.
Nicolas Perrins Mission sind stabile schwarze Zahlen für SBB Cargo. Welche Chancen geben Sie dem klassischen Wagenladungsverkehr, dessen rückläufige Entwicklung Sorgen macht?
Sieber: Bei grossen Volumen hat er sicher eine Zukunft. Ansonsten ist bei den kurzen Distanzen innerhalb der Schweiz der kombinierte Verkehr, wie wir ihn betreiben, flexibler und geeigneter.
Perrin: In unserer Strategie sehen wir dies ähnlich. Bei genügend grossen Mengen ist der konventionelle Güterwagen oft weiterhin erste Wahl – schauen Sie bloss einmal, wie rasch etwa ein Schüttgutwagen mit fünfzig Tonnen Last entladen ist. Unregelmässig mit einem einzelnen Wagen an spezielle Bedienpunkte zu fahren, liegt aber ausserhalb unserer Stärken. Dafür gibt es bessere Lösungen, ausser wir decken ganz spezifische Kundenbedürfnisse ab.
Michael Sieber, Sie winken SBB Cargo mit weiteren Verkehren. Auch grenzüberschreitenden?
Sieber: Eine Ausweitung steht fest in Planung; eine grössere Zahl weiterer Auflieger ist bereits bestellt. International arbeiten wir schon heute über die Terminals Ulm (DE) und Wolfurt (AT) mit der Bahn, allerdings mit anderen Partnern als SBB Cargo. Wäre schön, es entstünde ein Terminal noch näher an der Landesgrenze und näher an unserem Rheintaler Standort. Die Ostschweiz hört ja nicht in Gossau auf.
Perrin: Im Import- und Exportverkehr wollen auch wir noch zulegen. Zentral für uns ist der Terminal Basel Nord, der sich mit Wolfurt verbinden liesse. Bei Basel Nord prüfen wir auch ein Vorziehen einzelner Elemente. Und was das Rheintal betrifft: Wir sähen die Schweizer und die Vorarlberger Seite gerne als ein einziges Wirtschaftsgebiet mit beidseits grenzüberschreitend tätigen Bahnen. Zurzeit denken leider noch nicht alle Beteiligten so offen. Eine ähnlich verbesserungsfähige Situation besteht übrigens an der Westgrenze im Grossraum Genf.
Alle sprechen von Preisdruck. Wie können und wollen Sie unter diesem erfolgreich bestehen?
Perrin: Unser Schlüsselwort heisst «einfacher»: einfachere Strukturen, eine einfachere IT, einfachere und automatisierte Prozesse. Dazu
die bereits erwähnte Konzentration auf die Stärken der Bahn. Erst mit vielen Wagen hinter der Lokomotive fährt ein Zug wirtschaftlich.
Sieber: Als Erfolgsfaktoren sehen wir die Familienführung, langjährige Mitarbeitende und eine grosse Palette an Dienstleistungen. So können wir eine Gesamtlogistik aus einer Hand und mit Personen des Vertrauens dahinter anbieten, bis zum einzelnen Chauffeur. Darum ist es auch wichtig, dass sich die Mitarbeitenden im Terminal mit unseren Chauffeuren verstehen und dass die Zusammenarbeit funktioniert. Eingespielte Teams sind unser Erfolg.
Perrin: Wir zählen ebenso auf unsere Mitarbeitenden, die sich mit SBB Cargo verbunden fühlen und die Sprache der Kunden sprechen. Die menschliche Beziehung ist wertvoll und bleibt auch bei aller Digitalisierung zentral.
Anders als Sieber versteht sich SBB Cargo nicht als Gesamtlogistiker. Weshalb nicht?
Perrin: Wir wollen eine starke Bahn sein. Die Gesamtlogistik überlassen wir gerne unseren Kunden – und bei Bedarf unserer Tochter Chemoil, die mit ihrem Know-how über die angestammte Chemiebranche hinaus nützlich sein kann. Wir wollen nicht alles selber machen, aber uns mit unseren Kunden bestmöglich verknüpfen, bis hin zur IT.
Was gehört zur guten Zusammenarbeit?
Sieber: Dass wir uns ergänzen, fair miteinander umgehen und gemeinsame Ziele haben. So finden wir die besten Lösungen für unsere Endkunden und schaffen auch ökologisch einen Mehrwert.
Perrin: Wir möchten nicht einfach eine Bestellung entgegennehmen, sondern mit den Kunden Ziele bestimmen und Lösungen entwickeln. Fair, offen und transparent wollen wir auch über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen. Dies noch vermehrt zu tun, ist mein Vorsatz.